Visby: Roman (German Edition)
und es brauchte Stunden, bis E bereit war, Auskunft zu geben.
Dann verkuendete er unvermittelt, er sei der Vater von D. (1) Er will das aber nicht gewusst, sondern erst bei der Begegnung mit D auf Grund einer Aehnlichkeit erraten haben. (2) Was die Vorgaenge um G’s Tod angeht, behauptet er, nie mit Drogen gehandelt zu haben. (3) N habe ihn bewusst belastet, um E’s Vater politisch in Misskredit zu bringen. (4) Zu diesem Zweck habe N eine grosse Menge Heroin in dem Zimmer verstecken lassen, das E mit der drogenabhaengigen I bewohnte. (5) Bei dieser Aktion habe ihm G geholfen, in dem Glauben, das Ganze richte sich gegen I. (6) I habe das Heroin entdeckt, zu viel davon genommen und sei daran gestorben. (7) G habe sich schuldig und betrogen gefuehlt, deshalb sei sie von den Klippen gesprungen. (8) N habe nach der Aktion seinen Namen geaendert, E wisse nicht, wo er sich aufhaelt. (9)
Was von alldem soll man glauben? Fast jeder Punkt wirft Fragen auf.
1/2: Wenn die viel diskutierte Samenzelle tatsaechlich von E stammte, wieso hat G es ihm nicht gesagt? (Weil sie wusste, dass es ihn nicht interessieren wuerde? Es interessiert ihn naemlich einen Dreck. Das wurde sehr klar.)
3: N wuerde die Geschichte vermutlich andersherum erzaehlen. Wie entscheidet man, wem man vertrauen soll? Durch Wuerfeln? Fakt ist, dass G vor dem Sprung von den Klippen mit N gestritten hat. Sie hat ihn geohrfeigt, nicht E. (Allerdings war E auch nicht mehr greifbar, da verhaftet, also beweist das wirklich etwas?)
4/5: Fakt ist auch, dass E’s Vater nach der Verhaftung seines Sohns politisch erledigt war. (E behauptet, sein Vater waere ein Vertrauter von Olof Palme gewesen. Hat der sich nicht fuer Abruestung eingesetzt? Und der Sohn verschiebt Waffen. Das ist so absurd, dass man es glauben moechte. Oder?)
6/8: Es waere eine Erklaerung. Kann man es glauben? E als unschuldig Verfolgter. Darf man das glauben?
7: Sorry. Das war hoffentlich kein Schock. E sagt, die Geschichte von I’s Rueckkehr in die Klinik haetten ihre Eltern erfunden, um den Ruf der Familie zu schuetzen. Passt das ins Bild? (Man koennte natuerlich auch hinfahren und auf dem Friedhof nachschauen. Vorausgesetzt, dass man den Nachnamen weiss. Weisst du ihn?)
Vielleicht sollte Nicole Scott das tun. Hinfahren. Nachschauen. Auf dem Friedhof. In dem Haus. Wuerde das helfen? Durch die letzte Aktion ist die Zahl der Fragen eher gestiegen. Manchmal scheint es ihr unwahrscheinlich, dass ueberhaupt eine widerspruchsfreie Loesung existiert.
Oder ist es nur so, dass ihr die Loesung nicht passt?
Vielleicht ist sie auch einfach muede. Vielleicht sollte sie wirklich erst mal nach Schweden fahren und sich ausruhen.
NILSSON
Sie zu finden war das Leichteste von allem. Nachdem ich bei meinem zweiten Besuch in Eiderstedt von Ihnen erfahren hatte, dass sie sich auf Gotland aufhielt, hatte ich ein Foto von ihr ausgedruckt – von der Website des AIMSEP , in miserabler Qualität – und mir komplizierte Suchstrategien überlegt, aber es wäre gar nicht nötig gewesen. Als ich in Ljugarn ankam, fuhr ich einmal durch den Ort, um mir einen Überblick zu verschaffen, kam zum Hafen, schaute zur Mole, und da saß sie. Ganz am Ende der Mole, auf der Mauer. Die richtige Haarfarbe, die richtige Haltung. Unverwechselbar.
Ich stieg aus, schloss ab und ging zu ihr hinüber. Der Wind kam vom Meer, Wellen klatschten gegen die Mole, deshalb bemerkte sie mich erst, als ich fast neben ihr stand.
Ich hatte erwartet, dass sie erschrecken würde, vielleicht sogar in Panik geraten, aber sie schien nicht einmal sonderlich überrascht. Höchstens etwas verunsichert.
Vom Bier benebelt. Eine geöffnete Dose stand neben ihr auf der Mauer, zwei leere lagen auf dem Boden, und die Plastiktüte zu ihren Füßen enthielt reichlich Nachschub. Um halb fünf Uhr nachmittags. Vielleicht fand sie deshalb nicht gleich die richtigen Beschimpfungen.
Endlich räusperte sie sich, räusperte sich noch einmal, weil ihre Stimme offenbar nicht gehorchte, und sagte: »Hau ab, Jens. Nimm deine Kumpels und verschwinde.«
»Ich bin allein hier.« Obwohl ich wusste, dass sie mir nicht glauben würde, ergänzte ich: »Das waren nicht meine Kumpels.«
Sie wandte sich ab, eher gelangweilt als verärgert.
»Ich kann dir aber sagen, wer sie zu dir geschickt hat. Der Bruder meines Chefs. Wie er sich heute nennt, weiß ich nicht, aber früher einmal hieß er Rainer. Er war lange Zeit mit deiner Mutter zusammen.«
Sie fuhr herum und rutschte
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