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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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der Tür, nach so vielen Stunden im engen Zimmer. »Aber drinnen hätte mich Juri erschossen. Wenn du nicht dazugekommen wärst.«
    Er stellte den Korb auf den Boden. »Milch und Zucker haben wir anscheinend vergessen.«
    »Wieso war Juri so passend zur Stelle?«
    Er hob die Augenbrauen. »Er schläft im Haus.«
    »Aber … «
    »Wieso zerbrichst du dir den Kopf, Dhanavati? Es ist nicht dein Problem.«
    Nicht ihr Problem. Wenn Leute Türen aufschlossen und sie weckten, damit sie hinaus ins Freie ging und sich als Spitzel erschießen ließ. »Ihr hattet einen Tipp bekommen. Habe ich recht? Jemand hatte euch gewarnt, dass demnächst eine Frau auftauchen würde, die sich als deine Tochter ausgibt. Eine Spionin des BND .«
    Und Schweigen. Ein Gesicht, das nichts verriet. Genauso gut hätte sie ihn fragen können, wie viel eine Wagenladung Maschinengewehre bei ihm kostete.
    Sie nahm ihren Kaffeebecher in die rechte Hand, legte die verletzte Hand darum und konzentrierte sich darauf, die Oberfläche ruhig zu halten. »Ich habe ein bisschen nachgedacht. Wenn die Arschlöcher in Århus wirklich gewollt hätten, dass ich für sie spioniere, hätten sie es anders angefangen. Freundlicher. Indirekt. Sie hätten versucht, mich mit irgendetwas zu ködern. Stattdessen … « Nein. Das würde sie ihm nie erzählen. Nicht dem Chef von Juri. »Darum frage ich mich, ob sie nicht etwas ganz anderes erreichen wollten. Zum Beispiel genau das, was passiert ist oder fast passiert wäre. Ich renne zu dir – du hältst mich für den erwarteten BND -Spitzel – erst recht, wenn ich nachts beim Herumschnüffeln erwischt werde, weil irgendjemand die Türen aufschließt und mich weckt – Juri erschießt mich – und der echte Spitzel reibt sich die Hände. Das wäre nämlich meine Vermutung. Dass der BND längst jemand von deinen Leuten auf der Gehaltsliste hat. Juri vielleicht. Oder Janis?«
    Er schwieg weiter. Sehr lange. Endlich beugte er sich vor und verschränkte die Hände auf dem Tisch. »Und nun warnst du mich. Wie lieb von dir. Seit wann bist du denn auf meiner Seite?«
    Ihre Hände zuckten, Blut schoss ihr ins Gesicht. »Ich wollte nur … «
    »Ich weiß. Du wolltest mir zeigen, dass du auch nicht völlig naiv bist. Aber du hast immer noch nicht mal zur Hälfte begriffen, was hier vorgeht. Nicht mal zur Hälfte. Darum bitte ich dich jetzt ein letztes Mal: Lass die Finger davon. Du hast mir erzählt, was in Århus passiert ist, du hast zwei von den Männern auf Janis’ Fotos wiedererkannt – das genügt. Wichtig ist jetzt, dass wir diese Leute dazu bringen, dich in Ruhe zu lassen. Solange sie glauben, sie könnten über dich an mich herankommen … «
    »Oh, du machst dir Sorgen um mich. Wie lieb von dir. Seit wann interessiert es dich denn, ob du mit deinen Geschäften Schaden anrichtest?«
    Aber sie prügelte schon wieder mit blanken Fäusten auf eine Gummiwand ein. Nichts veränderte sich an seiner Fassade. »Ich habe eine Schwester«, sagte er endlich. »Acht Jahre jünger als ich. Du siehst ihr geradezu lächerlich ähnlich.«
    Du lügst, sagte jemand augenblicklich in ihr, über lautes Rauschen hinweg, du lügst, du lügst! Doch die Welt sackte schon unter ihr weg, da war nichts mehr, kein Boden, kein Halt; und er saß einfach da, zurückgelehnt, völlig entspannt, als hätte sich nichts Wesentliches geändert. Er hatte ihre Mutter und all seine Freunde verarscht, hatte ihnen den Guru vorgespielt und hinter ihrem Rücken Heroin verkauft – er bezahlte Leute wie Juri … Heißes schwappte über ihre Finger, ihre Hand schloss sich von selbst fester um den Becher und hob sich; sie sah den Kaffee schon fliegen, geradewegs in sein Gesicht; und stellte den Becher mit Sorgfalt auf dem Tisch ab.
    »Du hast mich entführen lassen«, ihre Stimme war so leise, sie erkannte sie kaum, »verprügeln und fesseln … Du hast mich behandelt wie … ein Stück Dreck – und hast die ganze Zeit gewusst, dass ich deine Tochter bin?«
    »Nein.«
    Er schien unendlich weit fort, dort auf der anderen Seite des Tisches; in diesem harten Licht, das plötzlich über allem lag, als hätte man die alte Welt gegen eine Kopie ausgetauscht, mit schärferen Konturen und nichts als Leere zwischen den Dingen; seine Hände bewegten sich durch die Leere, ein Stück auf sie zu; wieder zurück.
    »Anfangs war ich überzeugt, dass du gar nicht Dhanavati bist. Ich dachte, sie hätten uns jemand geschickt, der zu ihnen gehört. Einen Profi. Verstehst du? Sonst

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