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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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fleischfrei sind – weißt du, was sie geantwortet hat?«
    »Na?«
    »›Was dürfen Sie denn nicht essen?‹«
    Sie blickte auf seine breiten Schultern und die sonnengebräunten Arme. »Du siehst nun mal schwach und kränklich aus, da kann sie doch nichts für.«
    Er warf mit der zusammengeknüllten Stoffserviette nach ihr. Sie schlug sie zur Seite und schob ihren Teller ebenfalls weg. »Wer ist das, mit dem dein Freund jetzt da drüben am Tisch sitzt?«
    Steffen Wiebecke war zu einem Tisch nah bei der Terrassentür gegangen und unterhielt sich dort mit dem Mann, mit dem Maria am Abend im Park geredet hatte. Der sie so verstohlen begrüßt hatte.
    »Das ist sein Chef. Ulrich Frohnert. Direktor des IAI .«
    »Sind das die Leute, die Marias Datensammlung benutzen wollen?«
    Timo schien einen Moment zu zögern. »Die übers Lassa-Fieber. Genau.«
    »Seit wann arbeitet das IAI überhaupt an Epidemiemodellen? Ich dachte immer, die berechnen eher Luftströmungen an Tragflächen und so.«
    »Und so. Genau.«
    Diesmal schwieg er sehr lange. Dabei sah er sie an, als müsste sie sich vor die Stirn schlagen und rufen: Jetzt begreife ich alles. Aber sie begriff gar nichts. Außer dass jedes Institut gern neue Projekte erfinden würde, wenn es dadurch an das EuroShield-Geld herankam. Denn das war das Einzige, was sie hier gelernt hatte: dass EuroShield viel zu verteilen hatte.
    »Die interessieren sich schon seit einer ganzen Weile für Seuchen«, fuhr Timo endlich fort. »Sie arbeiten an den gleichen Fragen wie du. Nur dass sie echte Simulationsprogramme entwickeln. Virtuelle Katastrophenübungen. Und so. Beinhart praxisorientiert. Nicht so abgehobenes Zeug.«
    Sie lachte. »Mein abgehobenes Zeug scheint den guten Steffen durchaus zu interessieren. Sonst hätte er kaum derart sauer reagiert.«
    Timo sah sie an. Wie eine Fremde. Als hätte er ihr erzählt, dass Katta morgen eingeschläfert würde, und sie hätte einen Witz gemacht. »Die nehmen sich immer, was sie brauchen. Darin sind sie sehr, sehr gut.« Bevor sie nachfragen konnte, warf er einen Blick auf die Uhr und stand auf. »Ich muss los. Wir sehen uns bei Marias Vortrag.« Er machte einen halben Schritt an ihr vorbei, blieb stehen und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Du hast keine Ahnung, was Lassa-Fieber ist, richtig?«
    »Nein!«
    »Dann mach dich mal schlau, Dhani. Sonst begreifst du nämlich gar nichts.«
    In Marias Vortrag ging es um Tuberkulose. Und um Afrika, ausschließlich. Programme zur Bekämpfung der Krankheit. Diagnoseverfahren, ihre Vor- und Nachteile. Die Schwierigkeit, Daten zu erheben, mit denen sich arbeiten ließ.
    I won’t understand a word of what you’re talking about. Nicht dass sie den Vortrag nicht verstand – nach eineinhalb Jahren am AIMSEP hatte sie genug über Tuberkulose gelernt, um folgen zu können, und als unabhängige Einheit betrachtet war der Vortrag in sich schlüssig. Widersprüchlich wurden die Dinge, wenn man ihn als Teil des Gesamtsystems sah.
    Was hatte ein Vortrag wie dieser auf einer Tagung verloren, deren Veranstalter sich EuroShield nannten? Oder präziser: Warum hatten die Organisatoren ihn auf die Tagesordnung gesetzt? Denn weshalb Maria ihn hielt, war klar: Ihrer Ansicht nach hatten die reichen Länder der Welt sich nicht nur um ihre eigene geschützte Enklave zu kümmern, sondern auch um die Länder, deren Reichtümer sie sich jahrzehnte- oder jahrhundertelang angeeignet hatten.
    Weshalb ließen sie Maria hier darüber reden? Gleich nach einem Vortrag, in dem es um ein Frühwarnsystem ging, das weltweit das Internet nach Meldungen über ungeklärte Krankheiten absuchen sollte, so dass man bei Bedarf ausreichend Zeit hatte, Flughäfen und Grenzen zu schließen? Die europäischen Grenzen, damit kein unerwünschter Keim aus der großen weiten verseuchten Welt ins wohlbehütete Innere gelangte. Weshalb fragte in der anschließenden Diskussion niemand nach dem Europa-Bezug von Marias Arbeit? Stattdessen herrschte Schweigen, bis Marias Bekannter – Steffen Wiebeckes Chef, Ulrich Frohnert vom IAI – aufstand und fragte, wann ihre Datenbanken zugriffsbereit sein würden. Gleich darauf war alles vorbei, im Vortragsraum stieg der nächste Redner aufs Podium, und Maria, Frohnert und fünf andere Männer diffundierten in die Sonne hinaus. Ein, zwei Minuten lang drifteten sie unschlüssig auf dem Rasen umher, dann setzten sie sich auf die Terrasse. Sieben Turtles, die sich vom übrigen Schwarm gelöst hatten,

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