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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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untereinander jedoch zusammenklebten. Und sie, Dhanavati, die ziellos mit ihnen hinaustrieb; Turtle Nummer acht.
    Maria bestellte Wasser mit einem Schuss Weißwein darin. Man lächelte. Jemand machte eine Bemerkung über das Wetter. Jemand fragte Maria, wie lange sie in Afrika gearbeitet hatte und wo; und plötzlich steckten sie mitten in einer von Marias Geschichten über ihr Praktikum in Botsuana und die vielen Jahre in Ghana. Denselben Geschichten, die sie damals in Marsberg erzählt hatte: ohne sich darum zu scheren, dass Onkel Robert mit dem Fuß wippte und Tante Doris ihr starres Lächeln aufgesetzt hatte und zum Kaffeetisch schielte, wo die Sahne in sich zusammenfiel. Denselben Geschichten; nur dass sie jetzt wie die Anekdoten klangen, die andere Professoren von ihrer Zeit als Versicherungsmathematiker erzählten. Und als einer der jüngeren Wissenschaftler sagte, Tuberkulose in Afrika sei doch aber ein ganz anderes Thema als Tuberkulose in Europa, erklärte Maria ihm in ihrem präzisen Englisch, dass es völlig aussichtslos sei, die Ausbreitung von Epidemien in Europa vorhersagen zu wollen, wenn man keine zuverlässigen Zahlen über die Länder der Dritten Welt habe. Man lebe ja nicht auf einer Insel. Maria sah den Chef des IAI an, nahm ihr Glas und trank ihm zu; und Frohnert lächelte, vielleicht ein wenig ironisch.
    Keine Turtles. Das Modell war zu simpel. Sie klebten nicht einfach aneinander, weil der Zufall sie zusammengebracht hatte; es gab komplexe Interaktionen. Nach Parametern und Regeln, auf die sich niemand offen bezog, die das Verhalten des Systems aber entscheidend bestimmten. So dass es wirkte wie von Geisterhand gesteuert; während es tatsächlich brav seinem Entwicklungsgesetz folgte. Wie ein chaotisches Pendel, das aufgehängt an seinen zwei Fäden unvorhersagbar durch die Luft schießt, scheinbar wie verhext; erst wenn man sich die Dynamik der Bewegungen klarmacht, versteht man, warum es sich so verhält.
    Sie hatte recherchiert, wie Timo ihr empfohlen hatte. Während er mit seinem Steffen in der Halle zusammenhockte und im Vortragsraum das erste Referat des Nachmittags gehalten wurde, war sie auf ihr Zimmer gegangen, hatte sich mit dem Notebook beim Hotelnetz angemeldet und einschlägige Webseiten besucht: Wikipedia, World Health Organization, die Centers for Disease Control and Prevention der USA . Lassa-Fieber war eine Tropenkrankheit, die von einem Virus verursacht und von Mäusen übertragen wurde. Für die Tiere war das Virus offenbar harmlos; beim Menschen löste es schweres Fieber, Blutungen, Durchfall und eine Menge anderer Symptome aus.
    Eine Krankheit, über die man wenig wusste und für die sich anscheinend kaum jemand interessierte. Es gab keinen Impfstoff und keine leicht handhabbaren Diagnosemethoden. Weil das Fieber in Europa nur selten auftrat, hätte Maria vermutlich behauptet. Immerhin registrierte die WHO alle gemeldeten Fälle von Lassa-Fieber in ihren wöchentlichen Bulletins, und auch auf den Seiten der CDC tauchte es auf.
    Und zwar als ein Virus aus einer ganzen Gruppe, die hämorrhagisches Fieber auslösten. Lassa. Dengue. Krim-Kongo-Virus.
    Ebola-Virus.
    Marburg-Virus.
    Timo hatte sie aufgezählt, als er in Århus beim Italiener mit Maria stritt. Und da Timo sorgsam mit seinen Worten umging, gehörten sie im Kontext seiner Arbeit wohl tatsächlich zusammen. Was bedeutete, dass Marias Sammlung von afrikanischen Laborprotokollen, die Timo in den letzten drei Jahren digitalisiert hatte, nicht nur Daten zum Lassa-Fieber enthielt, sondern auch zu den anderen Viren.
    Viren, die auf der Webseite der CDC auf einer Liste besonders gefährlicher Biowaffen standen, zusammen mit Pest, Anthrax und Pocken.
    Daten, für die sich das IAI interessierte. Ein Institut, das sonst eher Strömungsverhältnisse an Tragflächen und die Durchschlagskraft von Geschossen berechnete. Und so.
    Und Timo, der sonst über alles offen sprach und der jährlich zu Friedensmärschen fuhr, veranstaltete Rätselraten mit ihr, statt ihr die Zusammenhänge zu erklären.
    Da saßen sie nun. Maria und Frohnert. Auf der Terrasse in der Sonne: der eine, der die Daten wollte, vermutlich um irgendwelche virtuellen Kriegsübungen zu programmieren, die andere, die sie nicht herausrücken wollte – oder nur zu einem hohen Preis? Zwei Go-Spieler, die ihre Steine setzten, während sie so taten, als hielten sie Vorträge oder erzählten Geschichten aus Afrika. Denn geeinigt hatten sie sich noch nicht, dazu waren sie

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