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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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zufrieden. »I didn’t think we’d make it in time«, sagte sie zu Timo; dann zu beiden: »Anybody else want a coffee?« Sie griff nach ihren zwei Taschen und marschierte zur Espressobar hinüber.
    Der Kleinbus des Tagungshotels fuhr ein weiteres Mal von Sennewitz bis in die Innenstadt von Berlin und holte sie am Bahnhof ab. Um Viertel vor sechs – fünfzehn Minuten vor dem offiziellen Tagungsbeginn – stürmte Maria in die Hotelhalle, gefolgt von Timo, gefolgt von ihr, und steuerte auf die Rezeption zu.
    Neben der Rezeption öffnete sich die Tür eines Fahrstuhls. Ein Mann trat heraus. Weißhaarig, schmal. Elegant im schwarzen Abendanzug. Er bemerkte Maria, blieb stehen und hob die Hand, als wollte er grüßen.
    Maria hielt so plötzlich inne, dass Timo fast in sie hineinrannte. Sie warf den Kopf zurück, halb grüßend, halb abwehrend. Der Mann blickte an Maria vorbei, erst auf Timo, dann auf sie; einen Moment stand er bewegungslos da, dann wandte er sich ab und ging. An der Tür zum Speisesaal schaute er noch einmal zurück.
    »Wer war das?«, fragte sie auf der Fahrt nach oben.
    Maria antwortete nicht.
    Langwierige Begrüßungsreden, voller Scherze, die sie nicht verstand. Applaus nach jedem dritten Satz. Applaus für die eigenen Leistungen und für die Ziele von EuroShield: neue Diagnosemethoden, neue Medikamente. Frühwarnsysteme. Ein Europa, in das kein gefährlicher Keim mehr eingeschleppt werden konnte, ohne dass Alarmglocken schrillten.
    Die meisten Wissenschaftler waren im Anzug erschienen, die Frauen in dunklem Rock, dunklem Blazer. Selbst Timo trug ein Jackett zu schwarzen Jeans. In ihrem grün-weißen Sommerkleid fiel sie auf. Am Buffet gab es Sekt und Wein, aber kein Bier. Um das Essen musste man kämpfen. An einem Nachbartisch unterhielten sich drei Männer unüberhörbar darüber, dass es völlig sinnlos war, ständig Geld in die medizinische Versorgung der afrikanischen Länder zu pumpen, da die Regierungen allesamt korrupt waren und die Menschen durch ihren Aberglauben und ihre Unzuverlässigkeit sowieso jede Behandlung sabotierten. Maria aß Fleischbällchen mit Kartoffelsalat und schwieg.
    Nach dem Empfang saß Dhanavati mit Timo in der Hotelbar und trank Bier; Timo war schweigsam, und sie hatte keine Lust, ihn jetzt schon zu fragen, was sie auf dieser Tagung verloren hatten. Er schaute immer wieder zur Tür. Beim zweiten Bier kam ein Mann herein und setzte sich zu ihnen: Steffen Wiebecke vom Institut für Angewandte Informatik in Köln. Als Timo sie vorstellte, hob er die Augenbrauen und betrachtete sie von den Haarspitzen bis zu den Zehen; als wäre es unerhört, dass Mathematiker Sommerkleider trugen.
    An seinem Institut kam das vermutlich nicht vor.
    Die beiden fingen ein Gespräch über Datenbanken an. Es war offensichtlich, dass sie sich zu diesem Zweck hier verabredet hatten; auch, dass es Probleme zu klären gab. Sie hörte eine Weile zu, während sie austrank, dann ging sie wortlos in die Halle hinaus. Durch den Speisesaal gelangte man auf eine Terrasse, an der Rückseite des Hotels gelegen, mit Blick auf den See.
    Wissenschaftler saßen in Gruppen zusammen. Sie stieg die breite Treppe hinunter und überquerte die Wiese. Wenn Timo Katta mitgebracht hätte, hätte sie jetzt die Sandalen ausziehen, für Katta Stöcke werfen und mit ihr zum Seeufer rennen können. Bis dorthin war die Tagung nicht vorgedrungen; die Wissenschaftler klebten aneinander wie die Turtles im Schwarm-Modell, nur dass dieser Schwarm nicht umherstreifte, sondern sich an der Terrasse verankert hatte.
    Das Seeufer war flach und sandig. Auf dem Wasser spiegelten sich Reste von Tageslicht, umgeben von Baumschatten. An einem Steg waren ein paar Ruderboote vertäut. Sie ging auf den Steg hinaus und beugte sich über das Geländer an seinem Ende. Das Wasser war schwarz. Sie drehte sich um, lehnte sich mit dem Rücken an und schaute zum Hotel.
    Überall Lichter. Überall Menschen. Zehn Uhr abends: noch zweiundsechzig Stunden bis zum Ende der Tagung. Die würden sich totschlagen lassen; ärgerlich war, dass sie sie totschlagen musste. Als gäbe es sonst nichts zu tun. Und wenn sie sich mit dem Notebook in die Hotelhalle setzte und arbeitete, während die Vorträge liefen, würde das Maria auch nicht gefallen.
    Child. It will be good for your soul.
    Zwei Menschen hatten sich vom Hauptschwarm auf der Terrasse entfernt. Sie saßen in Gartenstühlen auf der Wiese, am Rand der Halbellipse, die das Lampenlicht um die Terrasse

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