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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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zu wachsam, dazu lächelten beide zu viel. Marias Vortrag war ein Angriff gewesen, oder eine Herausforderung: Dies ist mein Gebiet, ich werde auch in Zukunft über Afrika forschen, und wenn ihr mir das streitig macht, werde ich euch an anderer Stelle blockieren.
    Und Frohnert? Er redete wenig und widersprach Maria nie; man hätte ihn für den Schwächeren halten können; wenn sich die fünf anderen, die echten Turtles, nicht so stark auf ihn bezogen hätten. Als der eine von ihnen Maria seine kritische Frage stellte, suchte er mit einem Blick Frohnerts Beifall; als Maria eine Pointe brachte, fragten ihn die Turtles stumm um Erlaubnis, bevor sie lachten.
    Frohnert saß im Vorstand von EuroShield. Auch das wusste sie nur aus dem Internet.
    Er sah zu ihr herüber. Sie hatte ihr Päckchen Tabak aus der Hosentasche genommen und drehte sich eben eine Zigarette, da spürte sie seinen Blick. Sie verteilte den Tabak entlang der Mittelfalte des Blättchens, drückte ihn mit den Zeigefingern zusammen, rollte und hob die Zigarette an den Mund, um das Blättchen anzulecken; zugleich sah sie auf. Er hatte sehr helle Augen und ein feingliedriges Gesicht. Überhaupt ein eher zierlicher Mann. Als ihre Blicke sich trafen, bemerkte sie ein leises Erschrecken bei ihm; als kostete es ihn Überwindung, nicht sofort wegzusehen. Dann erwiderte er ihren Blick, bis schließlich sie zuerst wegschaute. Sie legte die fertige Zigarette in die Tabakpackung zurück, stand auf und ging nach drinnen. Marias Stimme folgte ihr: noch eine Anekdote aus Afrika; und auch Frohnerts Blick folgte ihr, ein kühler Schatten.
    In der Hotelhalle saßen Timo und Wiebecke mit einem Dritten zusammen, vermutlich ein weiterer Datenbankbastler. Sie ging wortlos an ihnen vorbei, fuhr zu ihrem Zimmer hinauf und versuchte zu lesen; schaltete ihr Notebook ein und lud die neuen E-Mails aus ihren Postfächern herunter, doch es war nichts Interessantes dabei. Sie schaltete den Rechner wieder aus, zog Laufkleidung an, verließ das Hotel durch eine Seitentür und lief am Ufer des Sees entlang.
    Als sie zum Hotel zurückkam, war die Terrasse leer. Im Speisesaal brannte Licht. Dort saßen sie alle vor ihren Tellern, zufrieden oder unglücklich, je nachdem, ob sie sich das Geld für ihre Projekte gesichert hatten; ob die richtigen Leute ihnen zugenickt hatten; ob man ihnen zugehört hatte oder ob sie für die großen Männer unsichtbar blieben.
    Unmöglich, sich dazuzusetzen. Als wäre man einverstanden. Als wollte man eine von ihnen sein. Sie hielt nichts von symbolischen Gesten – Handlungen, die nichts in Bewegung setzten –, aber um Symbolik ging es auch gar nicht, sie brauchte Zeit, um nachzudenken, die Fakten zu sichten und nach Strukturen zu suchen, in Ruhe.
    Sie betrat den Bootsanleger, stieg auf das Geländer an seinem Ende und setzte sich auf den obersten Holm. Sie hätte gern etwas getrunken; eine Zigarette geraucht; später.
    So viele Unbekannte. Marias Motive: Wusste sie irgendetwas darüber? War das, was sie zu wissen geglaubt hatte, nur ein Überbleibsel von Kinderträumen? Die Ärztin, die zehn Jahre lang in Afrika gearbeitet hatte, statt in Europa reich zu werden; deren Vater Nazi-Deutschland verlassen hatte, weil er Pazifist war – nicht Kommunist, nicht Widerstandskämpfer, nein, Pazifist. Die sich auf Bahnhöfen mit jungen Ärzten aus Ghana traf und ihnen Koffer voll medizinischen Materials in die Hand drückte.
    Die steckte den Kopf mit Rüstungsforschern zusammen, weil diese Einfluss darauf hatten, wie gut ihr Institut finanziert wurde. Die überließ ihnen Daten über gefährliche Viren, an die sie ohne ihre Hilfe nicht kämen. Daten für virtuelle Katastrophenübungen, hatte Timo gesagt. Daten für Kriegsspiele. Mit Biowaffen.
    Und bekam dafür Geld – nicht nur für die Modernisierung ihrer Datenbanken und ein eigenes mathematisches Forschungsprojekt, sondern für Studien über Tuberkulose. Die zu einem großen Teil in einer Klinik in Ghana durchgeführt wurden.
    Die Sonne verschwand hinter den Bäumen. Wind kräuselte die Wasseroberfläche, strich über ihren schweißfeuchten Rücken, die nackten Arme, die feinen Härchen stellten sich auf. Zeit hineinzugehen und sich umzuziehen.
    Warum hatte Maria ihr nichts von dem Tauschhandel gesagt?
    Zwei Möglichkeiten.
    Maria glaubte, es würde sie nicht kümmern, es wäre ihr egal, wer ihre Stelle finanzierte, so lange sie nur frei arbeiten konnte.
    Oder Maria glaubte, es würde sie so schockieren, dass sie

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