Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
Vom Netzwerk:
sich weigerte, am AIMSEP zu bleiben.
    War sie schockiert? War diese graue Leere das, was andere Leute Erschrecken nannten? Sinnlose Frage: Gefühle ließen sich nicht vergleichen, die Begriffe, die zu dem Zweck benutzt wurden, beschrieben keine inneren Zustände, sondern Handlungsaufforderungen, an die Umwelt oder sich selbst. Ich habe Angst hieß Hör damit auf oder Ich muss hier weg , je nach Lage; Ich freue mich hieß Sorg dafür, dass alles so bleibt . Dieses innere Gestrudel an Empfindungen ordnen zu wollen, war aussichtslos; besser, man wartete ab, bis daraus Handlungsimpulse entstanden; mit ihnen ließ sich besser umgehen.
    Sachlich betrachtet gab es für sie keinen Grund, irgendetwas zu unternehmen. An ihrer Arbeit war nichts bedenklich. Falls Maria ihren Handel mit dem IAI schloss, würden noch andere Leute mit denselben Daten arbeiten wie sie; nun gut. Vermutlich würden diese Leute versuchen, ihre Epidemiemodelle für sich nutzbar zu machen; aber sie würde ihre Ergebnisse ohnehin publizieren, und danach hatte man nie die Kontrolle darüber, wer was für welche Zwecke benutzte. Das gehörte dazu, das musste jeder akzeptieren, der etwas Neues zu schaffen versuchte.
    Der Konflikt zwischen Maria und Frohnert brauchte sie nicht zu kümmern. Er betraf sie nicht.
    Sie ging auf ihr Zimmer, trank Leitungswasser und rauchte eine Zigarette am geöffneten Fenster, dann duschte sie und zog sich um. Als sie wieder nach unten kam, war das Abendessen vorbei, also kaufte sie in der Hotelbar Salzstangen, Erdnüsse und Bier. Die Bar war voll, aber Timo oder Maria entdeckte sie nicht. Wiebecke saß mit dem Mann zusammen, der sich schon nachmittags in der Halle zu ihm und Timo gesellt hatte. Er bemerkte sie nicht oder tat jedenfalls so. Sie verstaute ihr Abendessen in den weiten Taschen der Kargohose, nahm ihr Bier und wanderte durch die Hotelräume, bis sie in einem dunklen Seminarraum auf ein Grüppchen von Leuten stieß, die sich unter Spott und Hohngelächter einen Katastrophenfilm über den Ausbruch einer gefährlichen Seuche in einem Flugzeug ansahen. Sie setzte sich dazu, aß und trank und stellte das Nachdenken ein.
    Als sie spätabends zum Fahrstuhl ging, saß Maria in der leeren Halle und telefonierte. Ihre Stimme trug gut: »They don’t give a damn about people who can’t pay their prices.« Kurzes Schweigen, ein gemurmelter Gruß, dann klappte sie das Telefon zu und blickte ins Leere.
    Sie machte einen halben Schritt auf Maria zu. Maria rührte sich nicht. Sie blieb stehen, der Fahrstuhl kam, sie zog die Tür auf.
    »Dhani?«
    Sie ließ die Tür zufallen und ging zu Maria hinüber. Müde sah sie aus. Die störrischen Haare zerwühlt, das Geschäftsfrauenkostüm zerknittert. Das Gesicht faltig.
    Alt. So alt wie ihr Onkel Robert – auch wenn sie ein völlig anderes Leben führte, manchmal galt die Zahl der Jahre. So alt, wie ihre Mutter jetzt wäre.
    Maria klopfte neben sich auf das Sofa. Sie setzte sich, mit Abstand.
    »Unterhältst du dich gut?«, fragte Maria auf Deutsch.
    Unterhältst du dich. Unterhältst du dich gut, während du zusiehst, wie ich mit Leuten um Geld schachere, die ich eigentlich verachten müsste. Wie ich plaudere und lächle, obwohl ich weiß, dass sie mich ebenfalls verachten, mich für dumm und borniert und politisch überholt halten.
    »Es ist – interessant.« Sie suchte nach weiteren Sätzen. »Anders als Mathematikerkongresse.«
    Maria lachte auf. »Ja. Mehr wie die Werbeveranstaltung eines Pharmakonzerns, was? Schöne heile Welt des medizinischen Fortschritts … «
    Sie versank in Schweigen. Dhanavati schwieg mit. Was hätte sie auch sagen sollen: Wenn es dir so zuwider ist, warum bist du dann hier?
    Maria blickte geradeaus durch die Hotelhalle; so konzentriert, dass sie ebenfalls hinsah. Aber da war niemand. »Ich hatte vorhin ein Gespräch mit dem EuroShield-Vorstand. Es ist noch nicht offiziell, aber ich fürchte, sie werden deine Stelle nach dem Herbst nicht weiter finanzieren.«
    Und wieder Stille. Eine schwarze Stille diesmal, in der das Atmen schwerfiel wie in einem abgeschlossenen, lichtlosen Raum.
    »Sie wollen die Arbeit an den Epidemiemodellen an einem Ort bündeln. Du weißt doch, dass noch eine andere Gruppe daran sitzt?«
    Nicht von dir, dachte sie. Nicht von dir. Du hast mir gar nichts erzählt. Du hast mich in dem Glauben gelassen, ich wäre nur hier, um zu lernen. Dabei hast du mich besichtigen lassen. Wie ein Stück … Handelsware.
    Sie räusperte sich. »Am IAI

Weitere Kostenlose Bücher