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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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Kein Wunder, dass Maria Kingsley gern allein mit Dhanavati geredet hätte, bevor sie mich an sie heranließ. Klüger wäre es allerdings gewesen, mich zu warnen. Wenn ich gewusst hätte, dass sie ihr eigenes Patenkind nicht darüber informiert hatte, was sie mit Frohnert ausgehandelt hatte, wäre ich nicht so vorgeprescht. Auch wenn ich ihre Vorgehensweise etwas anmaßend fand – vorsichtig ausgedrückt – , wäre ich ihr kaum in den Rücken gefallen. Schließlich wollte mein Chef, dass Dhanavati ans IAI wechselte. Aber vermutlich hatte Maria Kingsley einfach verlernt, wie man mit Menschen umgeht, die nicht blind ihrer Führung vertrauen.
    Etwas Gutes hatte das Ganze immerhin: Nichts hätte mich gründlicher davon überzeugen können, dass Dhanavati den Artikel in Peace Moves nicht verfasst hatte. Sie wusste einfach nicht genug über unsere Arbeit am IAI . Auch das hätte ich lieber herausgefunden, ohne neun Stunden lang im Auto zu sitzen – von der Rückfahrt ganz zu schweigen – , aber das war Berufsrisiko. Sinnlos, sich darüber zu ärgern.
    Inzwischen war ich so weit vom Picknickplatz entfernt, dass die beiden nicht mehr verstehen würden, was ich am Handy sagte. Ich blieb im Schatten einer Birke stehen und meldete mich.
    Es war Steffen. Aufgeregt. Er war auf meine Bitte hin ins AIMSEP gegangen, obwohl Samstag war, hatte einen Blick in die E-Mails geworfen, die Dhanavati in den letzten Wochen erhalten hatte, und alle Namen und Adressen darin an meinen Bekannten weitergegeben. Eben hatte sich dieser Bekannte wieder gemeldet. Einer der Namen sei ein Volltreffer. Steffen sollte ihm den genauen Wortlaut der E-Mail schicken.
    Im ersten Moment war ich einfach sprachlos. Ich hatte geglaubt, die Angelegenheit wäre abgeschlossen, es ginge höchstens noch darum, unserem Direktor schonend beizubringen, dass Dhanavati vermutlich doch nicht ans IAI kommen würde. Und nun stellte sich heraus, dass wir möglicherweise ein viel größeres Problem am Hals hatten. Ich hatte meinen Bekannten um Hilfe gebeten, weil er Zugang zu Listen von politischen Extremisten hatte. Seine eigentlichen Ressorts waren jedoch organisierte Kriminalität, internationaler Drogen- und Waffenhandel und Terrorismus. Wenn er jetzt eine von Dhanavatis E-Mails anforderte, konnte das nur bedeuten, dass er sich aus eigenen Gründen für die Mail interessierte.
    Ich sagte Steffen, dass ich mich später wieder melden würde, trennte die Verbindung und rief meinen Bekannten an. Während ich darauf wartete, dass er abhob, sah ich zu den Frauen hinüber. Sie saßen noch am Picknicktisch. Im nachmittäglichen Sonnenschein, vor dem Hintergrund von Wiesen und bewaldeten Bergen. Maria Kingsley redete auf Dhanavati ein, Dhanavati rauchte und schwieg. Bockig. Kindlich bockig. Das kann doch nur ein Irrtum sein, dachte ich. Eine zufällige Namensgleichheit. Mehr nicht.
    Endlich hatte ich meinen Bekannten am Apparat. »Jens? Gut, dass du anrufst. Hattest du schon Kontakt zu der Reinerts?«
    »Ja.« Dhanavati redete jetzt, vorgebeugt, mit kurzen scharfen Handbewegungen. »Was ist denn mit ihr? Steffen sagt, ihr habt einen ihrer Mail-Kontakte in der Datei?«
    »Genau. Bengt Eglund. Riga. Internationaler Waffenhandel. Ein sehr aktiver Zeitgenosse. Glück für uns, dass du schon an der Sache dran bist. Hör zu. Lass sie nicht aus den Augen. Erzähl ihr irgendwas, weswegen du hingefahren bist – irgendeinen Unsinn, der sie nicht nervös macht. Aber bleib an ihr dran. Und schaff sie so schnell wie möglich wieder nach Århus. Wir brauchen unbedingt einen direkten Kontakt.«
    Und da stand ich nun. Auf einem Feldweg in Ostwestfalen. Über mir flirrten die Blätter der Birke im Wind, hangabwärts lagen schwarzweiße Kühe im Gras und käuten wieder. Eine durch und durch idyllische Szenerie – und plötzlich wollte mir jemand einreden, dass die junge Frau dort am Picknicktisch in internationale Waffengeschäfte verstrickt war.
    Die Frage war natürlich, wie ich damit umgehen sollte. Einerseits wollte ich meinem Bekannten helfen – weil man sich nun einmal gegenseitig hilft und weil außerdem ich derjenige gewesen war, der als Erster um einen Gefallen gebeten hatte. Andererseits machte ich mir Sorgen um dieses Mädchen.
    Während ich hinüberschaute, drückte Dhanavati ihre Zigarette aus, bückte sich und holte einen Schuh unter der Bank hervor. Und den zweiten. Sie zupfte die Socken heraus, zog sie an und fuhr mit den Füßen in die Schuhe.
    Ich steckte das Handy ein und

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