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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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Diesmal stieg sie nicht auf die Lehne, sondern über sie hinweg auf den Sitz. Sie setzte sich und sah mich an. Vielleicht hatte sie gemerkt, dass ich sie beobachtet hatte. Es war, als würde ich für sie erst in diesem Moment anfangen zu existieren.
    »Das ist Jens Nilsson vom IAI , Dhani«, sagte Maria Kingsley. »Er möchte etwas mit dir bereden, deshalb habe ich ihn mitgebracht. Das hat aber Zeit bis später.« Sie sprach Deutsch, mit starkem Akzent und einem werbenden, fast bittenden Unterton, den ich nie wieder von ihr hörte.
    An Dhanavati glitt er ab. Sie sah weiterhin mich an. »Ich habe Ihrem Direktor gesagt, dass ich Bedenkzeit brauche. Er war einverstanden.«
    »Ich weiß, und ich will Sie auch gar nicht drängen … «
    »Gut!«
    »Ich bin aus einem anderen Grund hier.«
    »Dhani … « fing Maria Kingsley wieder an.
    Sie wehrte mit einem Kopfschütteln ab. »Welchem?«
    Ich hätte lieber noch etwas gewartet, bis ich sie besser einschätzen konnte. Aber ihr Blick war fordernd. Was Unnachgiebigkeit anging, hatte sie offenbar einiges von ihrer Patentante gelernt.
    Also erzählte ich ihr von dem Artikel über unsere Epidemiemodelle. Natürlich behielt ich sie dabei im Auge – und in ihrer Mimik konnte man lesen wie in einem Buch. Als ich Peace Moves erwähnte, runzelte sie flüchtig die Stirn. Bei blind seer sah sie weg, holte ein Päckchen Tabak hervor und fing an, sich eine Zigarette zu drehen. Als ich aufzählte, welche Punkte in dem Artikel erwähnt wurden, hielten ihre Finger inne, ihr Blick hüpfte erst zu mir, dann zu Maria Kingsley, dann beugte sie sich tief über das Tabakpäckchen, als wäre sie plötzlich kurzsichtig geworden.
    Nachdem ich meinen Bericht beendet hatte, blieb alles still. Ich hatte erwartet, dass Maria Kingsley das Gespräch sofort wieder an sich reißen würde, doch auch sie schwieg beharrlich.
    Schließlich sah Dhanavati auf. »Und? Stimmt das, was in dem Artikel steht?«
    Meine erste Reaktion war Ärger. Ich habe nichts gegen dumme Leute. Aber Leute, die nur zu faul sind, ihre Klugheit auf die Welt anzuwenden, gehen mir regelmäßig auf die Nerven. In dem Artikel wurde behauptet, dass am IAI gegen geltendes Recht verstoßen wurde. Wenn das stimmte, hätte ich es wohl kaum ganz nebenbei auf einer Parkbank ausgeplaudert. »Ich weiß nicht, wie es in Dänemark ist, aber in Deutschland ist das Vorbereiten eines Angriffskriegs eine Straftat. Die UN haben 1972 … «
    »Das weiß ich alles«, unterbrach sie mich, in einem Tonfall, als wäre ich der Idiot. »Niemand hat vor, Sie anzuzeigen. Wenn die US -Armee am Pockenvirus herumbastelt, ist das schließlich auch rein defensiv. Ich wollte wissen, ob die Details stimmen. Sind Sie wirklich vor ein paar Monaten dazu übergegangen, zelluläre Automaten für die Modelle zu benutzen?«
    Die Frage brachte mich aus dem Konzept. Ich sah von ihr zu ihrer Chefin, aber Maria Kingsley schwieg weiter. Als würde sie auf etwas warten. »Ja. Ja, sicher. Auf der Grundlage Ihrer Arbeit. Oder nicht?«
    Wieder Stille. Aber diesmal hörte man förmlich die Zündschnur zischeln. Dhanavati drehte langsam den Kopf, bis sie Maria Kingsley ins Gesicht sah. »Du hast meine Ergebnisse ans IAI weitergegeben.«
    Maria Kingsley saß ruhig da, die Unterarme auf den Tisch gestützt – vielleicht etwas röter um die Wangenknochen als sonst, aber nicht einmal darauf hätte ich einen Eid abgelegt.
    »Ja.«
    »Ohne mich zu fragen!«
    »Du arbeitest an meinem Institut, Dhani. Ich entscheide, mit wem wir kooperieren. Die Arbeit an den Epidemiemodellen war immer als Gemeinschaftsprojekt geplant. Das habe ich dir auch gesagt. Als du bei uns angefangen hast. Du hast es vielleicht vergessen, weil es dich nicht interessiert hat. Aber du hast es gewusst.«
    »Du hast sie hinter meinem Rücken weitergegeben. An ein Institut … «
    »Das dir eine Stelle angeboten hat«, unterbrach Maria Kingsley mit einem schnellen Blick zu mir. » Wegen dieser Ergebnisse. Andere Leute würden sich freuen … «
    »Wie soll ich das denn verstehen? Habt ihr etwa schon länger verabredet, dass ich ans IAI gehe? Ich dachte, meine Stelle wäre eben erst gestrichen worden?«
    »Das stimmt auch, aber … «
    »Wieso hast du dann schon Reklame für mich gemacht?«
    Mein Handy klingelte. Die Frauen fuhren zu mir herum. Ich hob entschuldigend die Hände, stand auf und ging rasch davon.
    Um ehrlich zu sein, ich war froh, aus der Schusslinie zu kommen. Mit einem solchen Knall hatte ich nicht gerechnet.

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