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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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Dänisch, blieb allerdings schon bei überabzählbar stecken und sagte statt dessen: »Weiß auch nicht, was das heißt.« Der Mann rief laut etwas dazwischen, dann sagte er langsam und betont: »Who is there?«; sie antwortete auf Deutsch: »Man muss jederzeit statt Punkten , Geraden , Ebenen Tische , Stühle , Bierseidel sagen können«, und fügte auf Dänisch ihr Hilbertsches Lieblingszitat an: »Eine Fakultät ist keine Badeanstalt.«
    Es summte.
    Sie drückte gegen die Tür und stand in einem holzgetäfelten Vorraum, es roch nach Politur und Farbe. Ein Messingschild verwies sie in den ersten Stock. Die Treppe war mit einem roten Läufer ausgelegt und schwang sich elegant nach oben.
    An der nächsten Tür erwartete sie ein Mann wie aus einem Mafiafilm: dunkler Anzug, Sonnenstudiobräune, die Haare drei Millimeter lang. Knopf im Ohr. Er stand breitbeinig auf der Schwelle, beide Hände einsatzbereit. Über der Tür war eine Kamera montiert.
    »Can I help you?«
    Sie blieb stehen, entschied sich gegen weiteres Sprachengewirr und antwortete auf Englisch: »Guten Tag. Mein Name ist Reinerts.« Sie griff in die Innentasche ihrer Jacke, ließ sich Zeit dabei, damit er nicht nervös wurde, holte das Portemonnaie hervor und zeigte ihm ihren Ausweis. »Dhanavati Reinerts. Ich möchte Herrn Eglund sprechen.«
    »Haben Sie einen Termin?«
    »Nein, aber ich bin sicher, dass er mich trotzdem sehen möchte. Es geht um eine private Angelegenheit. Ich bin seine Tochter.«
    Acht Sekunden lang blieb es still. Sie fragte sich, ob er selbst nachdachte oder das den Leuten überließ, die durch die Kamera zuschauten.
    »Herr Eglund hat keine Kinder«, sagte er schließlich.
    »Doch, hat er.«
    Der Mann lächelte verächtlich.
    »Wieso fragen Sie ihn nicht?« Sie hielt ihm noch einmal den Ausweis hin. »Hier, zeigen Sie ihm den, damit er den Namen wiedererkennt. Ich würde ihn ja in die Kamera halten« – sie deutete mit dem Kinn nach oben – »aber da komme ich nicht ran.«
    Er zögerte wieder, diesmal nur kurz, dann nahm er den Ausweis und gab den Weg frei. »Bitte. Kommen Sie herein.«
    Sie trat ein und war umgeben von Licht: weiße Wände, weiße Böden, weiße Lederstühle und ein Tisch aus Glas, übergossen von bleichem Sonnenschein. Es roch nach Linoleum und Kaffee. Der Türwächter ging an ihr vorbei zu einem Empfangstresen, drückte dort am Computer auf zwei Tasten und verließ den Raum durch eine zweite Tür. Sie ging zum Glastisch und warf einen Blick auf die Zeitschriften. Segelboote. Palmen und Strand. Man hätte glauben können, man sei in einem Reisebüro. Aber vielleicht waren auf den Booten ja Granatwerfer installiert. Sie trat ans Fenster und sah hinaus, ohne etwas wahrzunehmen. Ihre Hände waren kalt.
    Drogenhändler. Waffenhändler.
    Vater oder nicht Vater.
    Der Mann kam durch eine dritte Tür wieder herein, hielt ihr diese Tür auf und forderte sie mit einer Geste zum Eintreten auf. Als sie an ihm vorbeiging, roch sie sein Rasierwasser; dann etwas anderes, Chemisches; jemand griff ihr in die Haare; und der Raum füllte sich mit dunklem Wasser.
    Luft, Luft. Sie riss den Kopf hoch, atmete ein, es brannte bis tief in die Lunge – verätzt, ihr Magen krampfte, und es stank … Tränen, abwischen, aber die Hände hingen fest, hinter ihrem Rücken hingen sie fest … Atmen. Weiteratmen. Nicht zerren, das half nicht, sie hingen fest …
    Hinter der Stuhllehne.
    Ein Stuhl.
    Betonboden.
    Eine Halle.
    Ihre Beine waren auch gefesselt.
    Flecken auf ihrer Hose. Der Jacke. Feucht. Wie das stank. Sie hatte sich vollgekotzt, während sie weg war, nein, weiteratmen, Dhani, tief atmen …
    Stimmen.
    Falsch. Eine Stimme. Weit entfernt.
    Unverständlich. Russisch vielleicht. Eine Männerstimme. Aufgebracht.
    Pause. Wieder die Stimme.
    Pause. Eine zweite Stimme. Tiefer. Beschwichtigend.
    Die erste Stimme, laut und wütend. Ein Scheppern, die zweite Stimme.
    Stille. Jetzt ruhig, Dhani. Nimm dich zusammen, rede mit ihnen. Bestimmt lässt sich mit ihnen reden. Sie war doch keine Bedrohung, sie wollte nur …
    Eine Hand in ihren Haaren, jemand riss ihren Kopf herum, ein Mann, ganz nah, er schrie ihr ins Gesicht. Ihr Magen zuckte, krampfte, sie würgte und spuckte, Kaffee, Wasser, Essensbrocken … Er fuhr zurück, fluchte und schlug zu.
    Ihr Kopf flog nach rechts, noch ein Schlag, ein Tritt, sie kippte, der Stuhl kippte, kalter Beton, sie hörte sich schreien, weit weg, schreien und keuchen, und er brüllte, unverständlich.
    Und

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