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Visby: Roman (German Edition)

Visby: Roman (German Edition)

Titel: Visby: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Slawig
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still, in einer Pfütze, starrte auf die Innenseite der Plane, zählte beim Einatmen bis zwei, beim Ausatmen bis drei, ruhig, ganz ruhig, okay, you okay. Ringe von Licht auf der Plane: Von links drang Sonnenschein unter die Plane und spiegelte sich in der Pfütze, in der sie lag, diese stinkende schleimige Pfütze reflektierte die Sonne, fließende Ringe, so wunderschön. Jetzt flackerten sie, Schatten? Bäume? Wenn sie sich hochstemmte und über Bord spränge, was würde passieren?
    Ertrinken.
    Eine Kugel im Kopf.
    Okay. You okay.
    Der Motor wurde leise. Verstummte. Ein Stoß. Schwanken. Jemand zog die Plane weg.
    Der Dicke. Ihr Freund, ihr guter Freund.
    Hinter seinem Gesicht der Himmel.
    Eine Amsel zeterte.
    Er zog ihr die Maske über die Augen. Sie packten sie an Oberarmen und Fußgelenken. Hoben sie hoch. Legten sie ab. Jemand fasste sie unter den Armen und zog, bis sie stand; der Dicke, sie roch ihn, der Dicke, ihr Freund. Er schob sie vor sich her, über Holz, durch Gras, über Asphalt oder Stein. Neue Stimmen. »Step«, sagte der Dicke, da stolperte sie schon, seine Finger bohrten sich in ihre Arme, sie tastete sich die Stufen hinauf.
    Kein Wind mehr. Eine Tür fiel ins Schloss.
    Du willst doch diesen Eglund nicht jetzt noch kontaktieren?
    Lee, ich würde dir so gern erzählen, wie scheiße das ausgegangen ist.
    Andere Stimmen. Nach rechts abbiegen, wieder nach rechts; anhalten; jemand klopfte. An eine Tür wie in einem Hotel.
    Von drinnen antwortete jemand. Sie wurde wieder nach vorn geschoben, und wieder zum Stehen gebracht.
    Stimmen. So viele Stimmen. Jemand lachte laut auf. Dann ihr Bewacher, der mit der Pistole. Lange und wütend.
    Jemand zog ihr die Maske vom Kopf.
    Licht, viel zu viel Licht, es stach in den Augen, sie tränten sofort. Große Fenster. Gleißendes Wasser. Vor dem Fenster ein Schreibtisch, an dem jemand saß, sie kniff die Augen zu, blinzelte Tränen weg, da saß ein Mann.
    Skandinavisch hellblonde Haare. Jemand stand neben ihm, zeigte ihm etwas; drehte sich um und kam auf sie zu. Der mit der Pistole. Er sah ihr ins Gesicht, spuckte ihr wieder ein Wort entgegen und stieß sie an, als er vorbeiging. Sie taumelte. Zwei Hände hielten sie fest. Der Dicke, sie konnte ihn riechen.
    »Du verstehst wohl kein Russisch?«
    Der Skandinavier stand vor ihr. Eglund. Es musste Eglund sein. Sein Englisch erinnerte an das von Maria.
    Er hielt etwas vor ihr in die Höhe. »Wo hast du die her?«
    Ein Viereck. Eine Plastikkarte. Die Aufschrift … Sie kniff wieder die Augen zusammen.
    »Wo hast du die her?«
    Adrian Barnes.
    Seine Kreditkarte.
    »Von … « Es war kaum zu hören. Sie räusperte sich und versuchte es wieder. »Von ihm. Von Adrian.«
    »Er hat sie dir gegeben? Wann?«
    Wann? Wann war das gewesen? Wie sollte man das beantworten können? »In Rostock. Als er mich zur Fähre gebracht hat.«
    »Welche Fähre?«
    »Rostock – Liepaja.« Ein Bild tauchte vor ihr auf. Die Website der Reederei, der Fahrplan. »Mittwochs und sonntags. Fährt sie. Also Mittwoch. Am Mittwoch.«
    »Vorgestern.«
    »Kann sein, ja.« Sie sah ihn an. So lässig gekleidet. Sonnengebräunt. Als hätte er die letzten Stunden – und überhaupt sein halbes Leben – auf seiner Segelyacht zugebracht. »An ihn erinnern Sie sich also, ja? An Adrian, aber nicht an meine Mutter?«
    Er schien überrascht. Dann lächelte er. »Na, vielleicht fällt sie mir ja ein, wenn ich dich genauer ansehe.«
    Er fasste sie am Kinn, drehte ihren Kopf, nach rechts, dann nach links, sein Daumen grub sich in die Stelle, wo der andere zugeschlagen hatte. Arschloch, dachte sie. Du Arschloch. Meine Mutter hat sich umgebracht, deinetwegen. Und du machst hier deine Späße.
    Er ließ sie los, trat einen halben Schritt zurück und holte ein Taschentuch hervor. Wischte sich damit die Finger. »Du siehst aus, als hätten sie dich aus dem Müll gefischt. Und du riechst auch so.«
    Er sah auf die Uhr – eine elegante Uhr um ein perfekt gebräuntes Handgelenk – und sprach an ihr vorbei. Der Dicke säbelte an ihrer Handfessel herum. Ihre Arme kamen frei, sie nahm sie nach vorn, und sofort schoss Schmerz zu den Schultern hinauf. Ihre Finger waren Würste, unförmig und violett, sie spürte sie nicht. Abgeschürfte Haut an den Handballen. Rote Streifen um die Handgelenke. Und jetzt ein Prickeln, ein Stechen, sie legte die verbundene Hand in die rechte und fühlte weit weg eine Berührung. Wieder packte sie jemand am Arm und zog sie zur Tür; nicht der Dicke,

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