Viscount und Verfuehrer
Doch das Leben war nur selten gerecht.
Als er näher kam, hörte er Lady Elizabeth über eine Bemerkung ihrer Begleiterin lachen. Er verlangsamte seinen Schritt, versuchte ihre Gesten und Bewegungen zu deuten. Da er jahrelange Erfahrung darin hatte zu beurteilen, wer ein lohnendes Ziel abgeben würde und wer nicht, hatte Christian gewisse Fähigkeiten entwickelt, seine Mitmenschen nach der Art ihrer Bewegungen und Sprechweise einzuschätzen.
Lady Elizabeth war nicht so züchtig, wie zu erwarten gewesen wäre. Ihre Haltung verriet Sinnlichkeit, auch die Art, wie sie beim Lachen den Kopf zurückwarf oder ungeduldig mit der Hand wedelte.
Sie war eine Frau, die sich nach mehr sehnte. Diesen Charakterzug erkannte er sofort, und zu seinem Leidwesen brachte er tief in ihm eine Saite zum Erklingen.
Christians Augen wurden schmal. Sie war ganz anders, als er erwartet hatte. Seine Spione hatten ihm erzählt, sie sei ein Blaustrumpf und gehe keinerlei amüsantem Zeitvertreib nach, außer auf dem Familiengut auszureiten und ihrem Großvater Gesellschaft zu leisten. Eigentlich hatte er eine schüchterne, zurückhaltende Frau erwartet, die ihrem betagten Anverwandten pflichtbewusst ihre Jugendjahre geopfert hatte. Eine bescheidene Märtyrerin wäre einfach zu bezirzen gewesen.
Christian war nicht auf die Idee gekommen, dass sie zudem schön, sinnlich und lebhaft sein könnte.
Was sie auch war, sie stand direkt vor ihm. Er wartete auf eine Gesprächspause, und bei der ersten sich bietenden Gelegenheit sagte er: „Dürfte ich um diesen Tanz bitten?“
Mit wehendem Kleid wandte Lady Elizabeth sich zu ihm um und hob erstaunt den Blick zu seinem. In diesem Augenblick geschah es: Die körperliche Anziehungskraft durchzuckte ihn wie ein Blitz, sodass ihm das Herz in der Brust pochte.
Er konnte sie nur anstarren. Sie war so schön, wie man ihm berichtet hatte, aber nichts hatte ihn auf den tatsächlichen Anblick dieser Schönheit vorbereitet, auf die Leidenschaft, die aus ihren großen braunen Augen sprühte, auf den verlockenden Schwung ihrer üppigen Lippen, auf die sinnliche Linie ihres Halses und ihrer Wangen. Sie verkörperte Leidenschaft und Reinheit,Versuchung und Begehren, Scharfsinn und Sinnlichkeit, und das alles zur selben Zeit. Als hätte sie seine Gedanken gespürt, schob sie die Lippen zu einem entzückenden Schmollen vor, das er am liebsten auf der Stelle weggeküsst hätte.
Christian musste sich zwingen, sie nicht inmitten des Ballsaals in die Arme zu reißen. Und dann dämmerte ihm die Wahrheit: Er war der einen Frau begegnet, die er nie würde berühren können. Der er sich nie hingeben konnte. Der er niemals Zutritt zu seinem Leben oder Zugang zu seinem Herzen einräumen konnte. Die geheimnisvolle Lady Elizabeth war die Enkelin von Christians verhasstem Feind, und das würde er nicht vergessen, egal wie sein verräterischer Körper auf ihre Nähe reagierte.
Verdammt, was passierte nur mit ihm? In all den Jahren der geheimen Verabredungen und hitzigen Flirts mit verführerischen und reichen Damen in luxuriösen Kutschen hatte er nie ein derart unmittelbares Verlangen verspürt.
Auch sie schien etwas gefühlt zu haben, denn sie blinzelte rasch. Sie sagte nichts, doch tief in ihren dunklen Augen glitzerte etwas. Vielleicht hatte sie etwas in ihm erkannt.
Und genau das war es auch, eine merkwürdige Art des Erkennens. East als wären sie sich schon einmal begegnet, obwohl das unmöglich war. Eine solche Frau hätte er nie vergessen. Wieder sah er sie an, und sein Verlangen wuchs und verstärkte sich, bis eine Flamme reiner, heißer Lust in ihm loderte.
Was zum Teufel fehlte ihm nur? Lady Elizabeth war keine Frau wie die anderen, die er rasch umwarb, bis er sie im Bett hatte, und dann vergaß. Nein, dies hier war die Enkelin seines größten Feindes.
Vielleicht waren seine Gefühle deshalb bis aufs Äußerste angespannt. Ja, das musste es sein. Erleichtert verneigte er sich. „Ich glaube, ich habe versäumt, mich vorzustellen. Gestatten Sie. Viscount Westerville. “
„Ah!“, erklärte Lady Elizabeths Begleiterin, die plötzlich munter wurde. Auch wenn sie ein wenig pferdegesichtig war, verrieten ihre Augen Intelligenz. „Westerville! Rochesters Ba...“ Sie errötete. „Ich meinte ...“
„Ja“, erwiderte er, nicht im Mindesten aus der Fassung gebracht, dass seine Herkunft anscheinend in Zweifel gezogen wurde. Er hatte keine Geheimnisse. Zumindest nicht diesbezüglich. In der Gesellschaft wurde viel
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