Viscount und Verfuehrer
ließ mich rufen.“
„So früh? Aber es ist kaum sieben Uhr. Was will er denn?“
„Ich weiß nicht, ich war noch nicht bei ihm. Ich bin gerade nach unten gekommen, und er war ... “
Eine weitere Tasse klirrte gegen die Tür, und gleich darauf erhob sich ein mächtiges Donnerwetter, in dem nur die Worte „Wilde“, „Radikale“ und „verloren“ auszumachen waren. Charlottes Lächeln erlosch. „Ah, die Zeitung. “
Lord Bennington blickte zur Tür und verzog das Gesicht. „Massingale weiß einfach nicht, was sich für einen Mann in seiner Stellung gehört.“
Beth sah zu den Dienstboten. Ihre Mienen wirkten ausdruckslos, obwohl sie Lord Benningtons Kommentar doch gehört haben mussten. Beth mochte Bennington nicht, obwohl er der engste Freund ihres Vaters gewesen war. Um zu verhindern, dass der streitbare Lord weitere abschätzige Bemerkungen vor den Dienstboten machte, sagte Beth ruhig: „Lord Bennington, wie schön, Sie zu sehen.“
Er verbeugte sich schwerfällig. „Lady Elizabeth.“
„Guten Morgen. Bleiben Sie zum Frühstück?“
Er warf Charlotte einen Blick zu und sagte dann auf seine kurz angebundene Art: „Nein, heute Morgen leider nicht. Auf mich warten wichtige Aufgaben.“ Er verbeugte sich vor Charlotte, die neben ihm stand und die geflochtenen Henkel ihres Retiküls durch ihre Finger gleiten ließ, eine nervöse Angewohnheit, die sie sich erst in letzter Zeit angeeignet hatte.
Beth hatte immer angenommen, die empfindsame Konstitution ihrer Stiefmutter rühre vom Tod ihres Ehemanns, Beths Vater, her. Auch einige Dienstboten bestätigten, dass sich Lady Charlotte danach sehr verändert habe. Beth erinnerte sich daran, dass es an manchen Tagen nach dem Tod ihres Vaters den Anschein hatte, als könnte Charlotte gar nicht mehr aufhören zu weinen.
Das lag natürlich Jahre zurück. Nun hatte Charlotte neben einigen schlechten auch viele gute Tage, und es war schön zu beobachten, wie Lord Bennington sich ihrer annahm. Mit ihm auszugehen schien ihr gutzutun, und auch wenn Beth den wichtigtuerischen Lord nicht sonderlich mochte, konnte sie sich vorstellen, dass Charlotte seine anmaßende Art als Schutz vor den Unannehmlichkeiten der Außenwelt empfand.
Bennington sah Charlotte stirnrunzelnd an. „Ich brauche dich sicher nicht daran zu erinnern, dass das Stück um sieben beginnt. Von hier braucht man eine Stunde nach London ... “
„Ich halte mich ab fünf bereit.“ Charlotte machte eine weit ausholende, übertriebene Geste. „Keine Sorge, ich lasse dich nicht warten. “
„Hoffentlich nicht. Hamlet ist eines meiner Lieblingsstücke.“ Er setzte den Hut wieder auf. „Guten Tag, Lady Elizabeth. Charlotte.“ Damit drehte er sich um und marschierte zur Tür hinaus.
Mit rosigen Wangen wandte Charlotte sich zur Treppe. „Beth, ich hoffe, es macht dir nichts aus, aber ich glaube, ich werde heute Morgen auf meinem Zimmer frühstücken.“ „Natürlich nicht“, erwiderte Beth sofort. „Jameson, würden Sie sich bitte darum kümmern, dass Lady Charlotte ein Tablett aufs Zimmer gebracht wird?“
„Jawohl, Mylady.“
„Und, Jameson“, fügte Charlotte hinzu und hielt auf dem Weg nach oben noch einmal inne, „Dr. Neweston wollte heute Morgen eine neue Flasche Arznei vorbeibringen. Würden Sie mir bitte sagen, wenn er da ist? Ich möchte mit ihm reden. Ich schlafe in letzter Zeit nicht gut, vielleicht kann er mir ein stärkeres Mittel verschreiben.“
„Jawohl, Mylady.“
Beth runzelte die Stirn. „Charlotte, das wusste ich ja gar nicht. Kann ich vielleicht irgendetwas ...“
„Nein, nein! Dr. Neweston kennt meine Stimmungen. Er wird schon wissen, wie er mich wieder in Ordnung bringt. Du bist diejenige, um die man sich Sorgen machen müsste. Ich wünsche dir viel Glück bei Massingale. Er ist recht unleidlich geworden. “
„Vermutlich liegt es am warmen Wetter. Er hasst die Hitze.“ „Man kommt schon nicht leicht mit ihm aus, wenn er guter Stimmung ist. Aber missgelaunt ...“ Charlotte erschauerte. „Nun, du kennst ihn am besten. Ich bin in meinem Zimmer, wenn du mich brauchst.“ Mit einem nervösen Winken lief Charlotte die Treppe hinauf und verschwand.
Beth seufzte, als ihr Großvater erneut zu brüllen begann und diesmal die ganze Zeitung zum Teufel wünschte. „Jameson, bringen Sie bitte eine frische Kanne Tee in die Bibliothek. Und neue Tassen.“
„Jawohl, Mylady. “ Der Butler räusperte sich. „Mylady, bitte verzeihen Sie, wenn ich mich einmische,
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