Vision - das Zeichen der Liebenden
Augen und wich den Bürogebäuden der Schule. Das Dröhnen, das diese schwindelerregende Verwandlung begleitete, war so laut, dass er entsetzt die Hände auf die Ohren presste.
Als es vorbei war, stand er wieder in der Mitte des kleinen Innenhofs, zu dem Janas Spur ihn geführt hatte. Alles war genau wie noch vor einer halben Stunde, nichts ließ darauf schließen, dass hier vor wenigen Augenblicken noch ein Turm gestanden hatte. Hugo war verschwunden.
Alex wurde das Herz schwer. Er wollte in den Turm zurück, seinen Vater noch einmal in den Arm nehmen, seine liebevolle, zuversichtliche Stimme hören. Er fühlte sich hilflos und entsetzlich allein.
Hugo war seinetwegen gestorben, um ihn vor einem furchtbaren Schicksal zu bewahren. Er hätte viel dafür gegeben, noch so ahnungslos zu sein wie vor dieser Begegnung. Jetzt, wo er es wusste, war nichts mehr wie vorher.
Nur eins war ihm in seinem Kummer klar: Das Opfer seines Vaters durfte nicht umsonst gewesen sein! Wenn er auch nur den Hauch einer Chance hatte, die Zukunft in Freiheit, die Hugo gesehen hatte, Wirklichkeit werden zu lassen, musste er sie nutzen. Er würde sich also in die Festung der Drakul wagen. Und – auch wenn es ihn Überwindung kosten würde – er würde Erik um Hilfe bitten.
An diesem Abend zog Alex sich nach dem Abendessen in sein Zimmer zurück. Lange starrte er auf das Handy in seiner Hand. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis er sich dazu durchgerungen hatte, die Nummer zu wählen. Während er wartete, war sein Kopf ganz leer, da war nichts als das dumpfe Klopfen seines Herzens.
Endlich hörte er die Stimme seines Freundes am anderen Ende. »Hallo, Alex. Was gibt’s?«
»Ich hab eine Bitte.« Nur mit Mühe konnte Alex das Handy ans Ohr halten, so sehr zitterte seine Hand. »Aber bevor du antwortest, sollst du wissen, dass die Sache extrem wichtig für mich ist. Und dass es ein Nein nicht gibt.«
Drittes Buch – Der Turm der Winde
Kapitel 1
Das dunkle Wasser des Sporthafens umspielte lautlos die Jachten, wiegte sie hin und her und ließ ihre Masten klirrend zusammenstoßen. Alex ging auf der Mole auf und ab, vorsichtig, um nicht auf den feuchten Steinplatten auszurutschen. Er hatte das Warten satt; vor Kälte waren seine Fingerknöchel schon ganz rot und seine Beine fühlten sich unangenehm taub an.
Der letzte rosige Widerschein der Sonne mischte sich im Wasser bereits mit den hellen Lichtpunkten der Straßenlaternen, aber Jana war immer noch nicht aufgetaucht. Alex fragte sich schon, ob es vielleicht ein Missverständnis gegeben hatte, als er in der Ferne eine Gestalt erkannte, die auf der leer gefegten Promenade zügig näher kam. Neben den hohen Palmen sah sie winzig aus. Erst als sie schon ziemlich nah war, merkte er, dass es nicht Jana war, sondern ihr Bruder David.
Ein enttäuschtes Schnauben war alles, was Alex als Antwort auf Davids stummen Gruß herausbrachte.
Auch David wirkte nicht sonderlich begeistert. Wortlos gingen sie zusammen auf die Unterführung zu, die die Promenade mit dem Stadtzentrum verband.
Erst in dem muffigen, nach Urin stinkenden Tunnel machte David den Mund auf.
»Das Ganze ist doch total hirnrissig!« Seine Stimme klang schrill, so aufgebracht war er. »Du bist ja noch verrückter als meine Schwester. Glaubst du wirklich, Ober wird dir helfen? Da kennst du ihn schlecht!«
Sie stiegen die Treppe hinauf und ließen die Unterführung hinter sich. Alex musterte David aus den Augenwinkeln. »Genau genommen ist es deine Schuld«, sagte er ruhig. »Wenn du mir nicht das verdammte Tattoo gemacht hättest, müsste ich nicht zu Ober. Aber was willst du eigentlich hier? Das ist meine Sache, eigentlich geht es nicht mal Jana was an. Woher weiß sie überhaupt davon? Von Erik?«
Davids Kichern hallte auf dem leeren Platz wider. Es klang düster und unheimlich, wie das Krächzen eines Krähenschwarms. »Du blickst echt überhaupt nichts, oder?« David beschleunigte seinen Schritt. »Ober persönlich hat sie informiert. Auf so eine Gelegenheit wartet er schon seit Jahren. Und dann kommst du daher und servierst sie ihm auf dem Silbertablett! Ober würde jeden Anlass nutzen, Janas und meine Führungsrolle bei den Agmar öffentlich infrage zu stellen.«
Wütend stieß David die Worte aus. Alex, der sich bemühte, mit David Schritt zu halten, warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Janas Bruder hatte die Lippen fest aufeinandergepresst, seine Augen in dem blassen Gesicht wirkten stechend und kalt wie Smaragde.
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