Vision - das Zeichen der Liebenden
»Ehrlich gesagt verstehe ich kein Wort«, gestand Alex. »Ich habe Erik nur gesagt, ich möchte seinen Vater treffen, damit er mir ein Tattoo entfernt.«
David blieb wie angewurzelt stehen. »Ein Tattoo, das ich dir gemacht habe! Und das dich daran hindert, meine Schwester zu berühren. Das ist hohe Magie, die man bei Menschen nur aus triftigen Gründen anwenden darf. Kapierst du es nicht? Wir haben die Gesetze der Klane gebrochen. Du lieferst Ober gerade den perfekten Vorwand, uns zu bestrafen.«
Alex versuchte, seine Gedanken zu ordnen. »Wenn das so ist, ist Jana bestimmt ziemlich wütend auf mich.«
David knurrte etwas Unverständliches.
»Ist sie deswegen nicht selbst gekommen?«
»Nein, nicht deswegen. Das Protokoll zwingt sie, in Obers Hauptquartier anzutanzen, und zwar zusammen mit Pertinax. Er führt die Agmar an, bis Jana achtzehn ist. Ein ziemlich schräger Vogel… aber man sollte ihn nicht unterschätzen: Hinter der harmlosen Fassade steckt ein gnadenloser Strippenzieher. Als Ober ihn zu sich gerufen hat, war er sofort zur Stelle, zusammen mit seinen kranken Töchtern!«
»Und das alles nur wegen mir?«, fragte Alex verwirrt. »Das kann ich gar nicht glauben.«
»Ach was, früher oder später wäre es sowieso passiert«, brummte David. »Du bist bloß der Vorwand. Keine Ahnung, was Erik Ober genau erzählt hat. Jedenfalls genug, um zu wissen, dass du Jana etwas bedeutest. Wahrscheinlich wird er dich benutzen, um sie zu erpressen.«
»Was hat Ober denn gegen Jana? Ist sie nicht viel zu jung, um ihm gefährlich zu werden?«
»Daran ist unsere Mutter schuld«, erklärte David leise. »Sie hätte klarere Verhältnisse hinterlassen sollen, ein Testament oder so, irgendwas, das uns beiden sagt, was wir tun sollen. Sie hat natürlich nicht gewusst, dass sie so früh sterben würde, aber trotzdem… Warum hat sie nicht vorgesorgt?« Als David Alex’ verständnislose Miene sah, seufzte er. »Viele Medu bezweifeln, dass meine Schwester eine gute Anführerin sein wird. Bis jetzt gibt es keine Anzeichen, dass sie irgendeine außergewöhnliche magische Fähigkeit besitzt, die man von einer großen Agmar-Zauberin selbstverständlich erwartet. Ober gehört zu den Skeptischsten. Er scheint davon überzeugt zu sein, dass meine Mutter Jana gar nicht zu ihrer Nachfolgerin ernennen wollte. Und Pertinax kommt das gerade recht: Er schwört Ober seit Jahren, dass Janas Mutter seine Töchter als ihre Nachfolgerinnen vorgesehen hatte.«
»Seine Töchter? Gleich mehrere?«
»Warte, bis du sie siehst, dann verstehst du es. Es wird nicht mehr lange dauern, wir sind schon im goldenen Dreieck. Ich hasse diesen Teil der Stadt mit den protzigen Schaufenstern und den Spiegeln überall.«
Endlich einmal war Alex mit David einer Meinung: Das Finanzzentrum mit seinen verglasten Wolkenkratzern und den blitzsauberen, mit Blumenkübeln geschmückten Gehwegen war ihm schon immer vorgekommen wie eine künstliche Bühne, erschaffen für das Theater, das sich hier jeden Tag abspielte – Geschäfte, Vertragsabschlüsse, Börsenspekulationen. »Hier treffen wir Ober?«
»Nein, noch sind wir nicht am Ziel. Nur ein hochrangiger Drakul kann uns die Tür zu Obers Festung öffnen. Wir treffen Erik in einer neutralen Krypta, an einem Ort, wo kein Klan mehr Macht hat als der andere. Von dort aus wird er uns zu Ober führen.«
Erstaunt musterte Alex die nichtssagenden Gebäude links und rechts, die den Boulevard säumten. Hin und wieder hastete ein Manager an ihnen vorbei, ohne den Blick vom Boden zu heben.
Hier sollte es eine magische Krypta geben? Aber er sprach die Frage lieber nicht laut aus.
»Wir könnten die ganze Sache ja auch noch abblasen«, sagte er stattdessen. »Ich sage Erik einfach, dass ich es mir mit dem Tattoo anders überlegt habe. Das ist es doch nicht wert, dass Jana meinetwegen in Gefahr ist.«
David stieß ein spöttisches Glucksen aus. »Zu spät. Die Klane sind schon zusammengerufen worden. Ober macht keine halben Sachen. Er hat uns eine Falle gestellt und sie ist längst zugeschnappt.«
»Und wenn Jana einfach nicht auftaucht? Wird sie dann bestraft?«
Ohne stehen zu bleiben, funkelte David Alex ungläubig an. »Glaubst du wirklich, so was würde Jana tun? Damit hätte sie jedes Ansehen bei den Klanen verspielt. Verstehst du es denn nicht: Sie hat keine Wahl! Wenn sie nicht auftaucht, wäre das wie ein offenes Eingeständnis, dass sie Angst hat, der Situation nicht gewachsen zu ein. Dann hätten Pertinax’
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