Visionen Der Nacht: Der Geheime Bund
kann mich ganz gut allein wehren«, sagte er. »Du musst dich nicht immer einmischen. «
»Ja, sie ist eine richtige kleine Wohltäterin«, kam es vom Beifahrersitz. Das war Gabriel.
Kaitlyn ging in die Luft. »Und du bist eine gefühllose Schlange!«, rief sie.
Gabriel drehte sich um und lächelte sie strahlend an.
»Da zumindest hat sie recht«, sagte Rob. Das Auto kam ins Schlingern, denn Rob sah nicht auf die Straße, sondern konzentrierte sich auf Gabriel. »Und
du, Lewis, bist besser still, wenn du weißt, was gut für dich ist.«
»Ich finde euch alle grässlich«, keuchte Anna. Sie war offenbar den Tränen nahe. »Mir reicht es. Du kannst mich hier rauslassen. Ich will nicht weiter mitfahren. «
Rob trat auf die Bremse, die Reifen quietschten. Hinter ihnen hupte jemand.
»Gut«, sagte Rob. »Steig aus.«
KAPITEL ACHT
»Na los«, blaffte Rob sie an. »Lass uns nicht warten.«
Hinter ihnen hupte es wieder.
Anna erhob sich. Ohne die für sie sonst so typische Anmut, schnappte sie sich ihre Reisetasche und öffnete die Schiebetür.
Kaitlyn saß stocksteif da, die Schultern angespannt, den Kopf hoch erhoben. Sollte Anna doch gehen, wenn sie unbedingt wollte. Damit bewies sie ja nur, dass sie sich nie etwas aus den anderen gemacht hatte.
War das lächerlich.
Der Gedanke kam aus dem Nichts, wie ein winziger Glimmer, war da und sofort wieder weg. Doch das reichte aus, um Kaitlyn zur Vernunft zu bringen.
Lächerlich – natürlich machte Anna sich etwas aus ihnen. Sie machte sich aus allem etwas, sei es die Erde selbst, seien es die Tiere, die sie liebte, oder seien es die Menschen, die ihren Weg kreuzten.
Aber warum war Kaitlyn nur so wütend auf sie? Sie spürte es geradezu körperlich. Ihr Herz hämmerte, ihr Atem kam stoßweise, die Röte stieg ihr ins Gesicht,
die Schläfen pochten. Ihr ganzer Körper stand unter Spannung, so, als sei er auf Angriff gepolt.
Das waren die körperlichen Symptome. Die Erkenntnis huschte aus Kaitlyns Unterbewusstsein an die Oberfläche. Und dann begriff sie es plötzlich.
»Anna, warte! Warte«, rief sie, als die Schiebetür schon offen stand. Sie bemühte sich um Ruhe und versuchte, ihre innere Panik zu unterdrücken.
Anna hielt inne, drehte sich aber nicht um.
»Merkt ihr denn nichts, Leute, merkt ihr denn gar nichts?« Kaitlyn sah einen nach dem anderen an. »Da stimmt doch was nicht. Wir sind alle sauer, aber wir haben eigentlich gar keinen Grund dafür. Wir haben nur diese Wut im Bauch, deshalb gaukelt uns unser Verstand vor, dass es einen Grund geben muss. «
»Wahrscheinlich sind es nur die Nerven«, spottete Gabriel. Er hatte die Lippen gekräuselt und sah sie böse an. »Es ist doch völlig undenkbar, dass wir einander nicht lieb haben.«
»Nein! Ich weiß nicht, was es ist, aber …« Kaitlyn brach ab. Zu den anderen körperlichen Symptomen war noch ein Zittern dazugekommen. Es war kalt im Van, kälter, als es durch die offene Tür zu erklären war. Und ihr stieg ein merkwürdiger Geruch in der Nase – Verwesungsgeruch.
»Riecht ihr das? Genauso hat es gestern gerochen, als Lewis durchgedreht ist. Und kalt ist es jetzt auch.«
Kaitlyn sah, dass sich zu der Wut in den Gesichtern der anderen Verwirrung gesellte. Sie sprach die eine Person an, der sie absolut vertraute.
Rob, bitte hör mir zu, beschwor sie ihn. Ich weiß, es ist schwierig, weil du so wütend bist, aber versuch es, bitte. Hier stimmt etwas nicht.
Nach und nach entspannte sich Robs Gesicht. Der Zorn wich aus seinen bernsteinfarbenen Augen, und zurück blieb ein goldener Glanz, aus dem jedoch Bestürzung sprach. Rob blinzelte und legte eine Hand auf die Stirn.
»Du hast recht«, sagte er. »Das erinnert mich an ein Experiment. Man spritzt einem Probanden Adrenalin und steckt ihn dann mit jemandem in einen Raum, der ihm Wut vorspielt. Die Versuchsperson wird dann auch wütend. Aber es ist keine echte Wut, sondern sie wurde künstlich erzeugt.«
»Jemand macht das mit uns«, sagte Kaitlyn.
»Aber wie? Wir haben doch keine Spritze bekommen. « Lewis klang spöttisch, aber nicht mehr so gereizt wie vorher.
»Eine übersinnliche Attacke«, stellte Rob nüchtern fest.
Er schien sich sicher zu sein. Auf der Straße hinter ihnen war mittlerweile das Dauerhupen mehrerer Fahrzeuge zu hören.
»Schließ die Tür«, bat Rob Anna gelassen. »Ich
fahre so bald wie möglich rechts ran. Da ist etwas, das ich euch schon längst hätte sagen sollen.«
Anna zog die Tür wieder zu und setzte sich.
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