Visionen Der Nacht: Der Geheime Bund
anderen. Sie
richteten sich alle auf und versuchten, reif und gelangweilt zu wirken.
Der Zollbeamte zuckte nicht mit der Wimper. Er sah einen nach dem anderen an und richtete sich dann auf.
»Ist einer von ihnen unter achtzehn?«, fragte er Lydia.
Kaitlyns Magen machte noch einmal Kopfstand. Wenn er ihre Führerscheine sehen wollte, wäre klar, dass sie alle unter achtzehn waren. Und dann würde er nach der Zustimmungserklärung fragen.
Lydia zögerte fast unmerklich. Dann sagte sie: »Oh, nein, nein.«
Sie sagte es leichthin, mit einer wegwerfenden Handbewegung. Kaitlyn bewunderte sie dafür. So klein und zierlich Lydia war, so erwachsen und selbstsicher wirkte sie.
Der Zollbeamte hielt kurz inne. Er sah Lewis an, der von allen am jüngsten aussah. Lydia drehte sich ebenfalls zu ihm um, und obwohl sie keine Miene verzog, war ihre Verzweiflung spürbar. Lewis biss die Zähne zusammen, und Kaitlyn spürte ein Beben im Netz.
Der Zollbeamte hatte ein Gerät am Gürtel, eine Art Funkgerät oder Walkie-Talkie. Plötzlich begann es zu piepsen.
Nein, das war kein Piepsen, es war ein Heulen. Das Gerät ging los wie eine Sirene, ein schriller Ton, der
Kaitlyn kalte Schauer über den Rücken jagte. Mehrere Leute drehten sich nach dem Beamten um.
Der schüttelte sein Gerät und drückte mehrere Knöpfe. Das Heulen wurde immer lauter.
Der Mann blickte vom Gerät zu Lydia und wieder zurück. Er schien zu zögern. Dann zog er eine Grimasse und beschloss wohl, sich um seine elektronische Sirene zu kümmern. Mit einer ungeduldigen Handbewegung winkte er Lydia weiter.
»Los, los«, flüsterte Lewis aufgeregt.
Lydia legte den Gang ein, und sie entschwebten mit majestätischen zehn Stundenkilometern. Als sie die Hauptstraße erreichten, atmete Kaitlyn zischend aus. Sie hatten es geschafft!
»Das war leichter, als ich dachte«, sagte Rob.
Auf dem Rücksitz gluckste Lewis vor sich hin. »Nicht schlecht, oder? Eins zu null für uns! «
Kaitlyn drehte sich zu ihm um. Das Beben, das sie gespürt hatte, ehe das Gerät zu heulen begonnen hatte … »Lewis, warst du das?«
Lewis’ Grinsen breitete sich über das ganze Gesicht aus. Seine Augen leuchteten. »Ich habe mir gedacht, wenn diese Fieslinge über so weite Entfernungen Telekinese betreiben, dann müsste ich doch mit dem Funkgerät klarkommen. Ich habe nur ein paar kleine Veränderungen vorgenommen, damit die Resonanz größer ist.«
Lydia sah ihn im Rückspiegel kurz an, und zum ersten Mal stand in ihren graugrünen Augen so etwas wie Wertschätzung. »Danke«, sagte sie. »Du hast mir den du weißt schon was gerettet.« Lewis strahlte.
Sogar Gabriel kam nicht umhin, beeindruckt zu sein. Doch dann fragte er Lydia: »Wer sind diese Widerlinge überhaupt? Die, die versucht haben, uns umzubringen. «
»Ich weiß es nicht. Ehrlich, ich weiß es nicht. Mein Vater hat etwas mit dem Kristall gemacht. Vielleicht hat er auch Leute, die ihm helfen. Aber wer das ist – keine Ahnung. «
»Ich frage mich, ob sie damit aufgehört haben«, sagte Anna plötzlich. »Ich meine, seit gestern Abend ist nichts mehr vorgefallen. Vielleicht haben sie unsere Spur verloren.«
»Vielleicht verlassen sie sich auch darauf, dass jemand anders uns auf der Spur bleibt«, sagte Gabriel mit einem bedeutungsvollen Blick zu Lydia hin. Die machte nur eine wegwerfende Handbewegung, ohne den Blick von der Straße abzuwenden.
»Wo geht es denn jetzt hin?«, fragte sie.
Es folgte ein längeres Schweigen. Dann sagte Rob: »Wir wissen es nicht genau.«
»Ihr seid hierher gekommen, ohne zu wissen, wo ihr eigentlich hinwollt?«
»Wir wissen es nicht genau. Wir suchen nach …«
»Etwas«, unterbrach Gabriel Rob. Lewis runzelte die Stirn, und Kaitlyn warf Gabriel einen ungeduldigen Blick zu.
Wir haben beschlossen, ihr zu vertrauen. Und außerdem wird sie es sowieso erfahren, sobald wir es finden …
»Dann soll sie warten, bis es so weit ist«, sagte Gabriel laut. »Warum sollen wir ihr mehr vertrauen, als unbedingt notwendig?«
Lydia kniff die Lippen zusammen, sagte aber nichts.
»Wir haben zwei Möglichkeiten«, sagte Rob. »Wir können willkürlich die Küste rauf und runter fahren, oder wir fragen die Leute hier, ob sie wissen, wo die …«Er wechselte einen Augenblick in die Gedankenübertragung: … Steintürme sind. »Wenn Annas Mutter sie erkannt hat, dann müssten die Leute auf der Insel sie doch eigentlich auch kennen.«
»Erinnerst du dich denn noch an etwas, Anna?«, fragte Lewis.
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