Visite bei Vollmond
ein paar Antworten
bekommen, ja«, nickte Jorgen.
»Sie können nicht ewig
hierbleiben. Keiner von ihnen ist krank.«
»Die Menschheit muss vor ihnen
geschützt werden, schlieÃlich ist bald Vollmond. Möchten Sie etwa, dass all
diese neuen Werwölfe ohne jede Führung da drauÃen rumlaufen?«
»Dann übernimmt Ihr Rudel also
die Verantwortung bezüglich der medizinischen Entscheidungen für diese Leute?
Auch wenn etwas schiefgeht?«
»Sicher, warum nicht?« Jorgen
zuckte gelassen mit den Schultern.
»Ich muss mit Meaty sprechen.«
Gina ging zurück in den Hauptkorridor, während ich mit Jorgen in dem neu
eröffneten Flur stehen blieb. Sobald sie auÃer Hörweite war, legte er los:
»Kennen Sie denn keinerlei Scham, Mädchen?«
Völlig verdattert wich ich
zurück â was genau warf er mir denn vor? Und was sollte ich darauf sagen?
Da ertönte Meatys Stimme; Gina
hatte also Verstärkung mitgebracht. »Mir gefällt das genauso wenig wie dir,
Gina. Ich werde morgen früh mit dem Konsortium sprechen.« Meaty durchbohrte
Jorgen mit einem stechenden Blick. »Haben Sie heute Nacht noch weitere
Ãberraschungen für uns auf Lager?«
»Wohl kaum.« Mit einer
umfassenden Geste verabschiedete er sich von uns. »Schönen Tag noch, Ladys.«
Meaty schnaubte empört.
Ich half Gina so gut ich
konnte. Keiner der Neuankömmlinge sagte einen Ton. Sie liefen, saÃen, standen
und legten sich hin wie folgsame Hunde, schienen das Leben aber mit ebenso viel
Interesse zu verfolgen wie Winter am anderen Ende des Flurs.
Während Gina noch die anderen
Patienten auf die Zimmer aufteilte, untersuchte ich den Ersten. Erst als ich
Blutdruck und Temperatur messen wollte, fiel mir auf, dass ich ja keine Ahnung
hatte, welche Werte bei einem Werwolf normal waren. Als das Thermometer piepte,
drückte ich nervös den Unterkiefer meines Patienten herunter und hoffte, dass
er mich nicht beiÃen würde. Er hatte Füllungen. Also war er ein absoluter
Frischling, genau wie die Werwölfe, die mich angegriffen hatten.
Ohne ihn aus den Augen zu
lassen, katalogisierte ich seine Habseligkeiten. Mantel, Schuhe, keine
Brieftasche, kein Ausweis â und in seiner Tasche befand sich ein Fläschchen
Luna Lobos. So schnell ich konnte, brachte ich meine Auflistung zu Ende und
verlieà das Krankenzimmer.
»Total gruselig«, sagte Gina,
als ich ihr drauÃen begegnete.
»Wo kommen die her?«, fragte
ich nervös.
»Einer hatte einen Gutschein
vom Depot bei sich«, erklärte sie achselzuckend. »Ich werde mal ein paar Obdachlosenunterkünfte
anrufen, um herauszufinden, um mich nach ihnen zu erkundigen. Das ist echt
hart: Erst obdachlos und dann zwangsweise für ein Rudel rekrutiert.«
Depot und Luna Lobos â mehr
musste ich nicht hören. »Da fällt mir ein ⦠ich muss dringend meinen Bruder
anrufen«, sagte ich hastig.
Gina zog erstaunt die
Augenbrauen hoch. »Ich wusste gar nicht, dass dein Bruder â¦Â«
»Deine Mom, mein Bruder, selbe
Geschichte«, unterbrach ich sie. Zumindest im Moment machten die Schatten noch
ihren Job und beschützten ihn.
»Tut mir leid, Edie«, sagte
Gina mit der Art von Mitgefühl in der Stimme, die nur jemand aufbringen konnte,
der ebenfalls gezwungen war, auf Y4 zu arbeiten.
»Danke.« So schnell ich konnte,
rannte ich los.
Sobald ich den
Umkleideraum erreicht hatte, rief ich Jake an. Er klang müde, als er sich
meldete, aber immer noch wie er selbst. »Hi, Sissy. Soll ich jetzt doch bei dir
einziehen?«
»Nein ⦠noch nicht ⦠hör zu,
Jake: Du musst aufhören, dieses Zeug zu verkaufen. Sofort.«
Ich hörte im Hintergrund Stoff
rascheln; offenbar breitete er seine Decke über sich, um dort, wo er gerade
schlief, ungestört mit mir reden zu können.
»Gehtâs hier um das Handy? Mir
ist nämlich sobald ich im Bus saà wieder eingefallen, dass ich ganz vergessen
habe â¦Â«
»Darum geht es nicht, überhaupt
nicht.« Krampfhaft überlegte ich, was ich ihm zur Abschreckung sagen könnte.
»Wir haben hier im Krankenhaus ein paar Fälle von Luna-Lobos-Vergiftung. Das
Zeug ist mit irgendwas verschnitten, Jake.«
»Unmöglich, ich benutze es
schlieÃlich täglich.«
Ich unterdrückte ein Stöhnen.
»Ist irgendjemand, der es mit dir zusammen benutzt oder verkauft
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