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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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wenig davon
jemals wieder raus. Die Stoffwechselvorgänge, durch die Blut gebildet wurde,
hatten sich bei ihrem Tod wie alles andere auch verlangsamt. Anna schien als
lebender Vampir die einzige Ausnahme zu sein.
    Ich legte die Akte weg und
richtete mich auf, um über den Tresen des Schwesternzimmers hinwegschauen zu
können. Der Tageslichtagent beobachtete mich. Als er meinen Blick bemerkte,
signalisierte er mir, dass ich zu ihm kommen sollte.
    Ich ging zu seinem Zimmer,
blieb aber in der Tür stehen. Er wirkte genauso ungepflegt wie die stummen
Werwölfe hinten, mit alten Pockennarben im Gesicht, das von einem schmierigen
Film überzogen war. Außerdem stank er nach altem Schweiß und Urin. Eine Wäsche
mit Rasierschaum würde meinen Geruchssinn hier nicht retten, gesetzt den Fall,
er ließe das überhaupt zu. »Hey, Lady, wo ist denn der andere Pfleger hin?«
    Â»Seine Frau ist krank geworden,
er musste gehen.«
    Der Tageslichtagent zuckte mit
den Schultern und stöhnte dann. »Können Sie mir etwas gegen die Schmerzen
geben? Die sind echt übel.«
    Â»Da muss ich zuerst in Ihre
Akte sehen.«
    Ich konnte nur hoffen, dass
Charles alles auf den letzten Stand gebracht hatte, bevor er gegangen war,
sonst verpasste ich dem Kerl vielleicht eine Überdosis. Andererseits war es
fast unmöglich, dass er während meiner Schicht starb. Das Vampirblut, das er
bekommen hatte, war sozusagen das krasse Gegenteil einer VaW -Anordnung. Nichts von
dem, was ich heute Nacht tun konnte, würde ihn umbringen – außer vielleicht,
wenn ich eine Flasche Weihwasser durchs Zimmer trug, stolperte und sie über ihm
ausschüttete. Ich holte fünf Milligramm Morphin aus dem Medikamentenschrank –
seine Maximaldosis –, zog es auf eine Spritze und brachte es ihm. Mein Dienstausweis
war noch in meiner Tasche, wo ich ihn verstaut hatte, damit er den Werwölfen
nicht ins Gesicht schlug, wenn ich sie ins Bett legte. Eigentlich sollten wir
die Ausweise immer über den Schutzanzügen tragen, damit die Patienten uns
identifizieren konnten. Ich beschloss allerdings, diesmal eine Ausnahme zu
machen. Für mich war es völlig okay, den Rest der Nacht mit »Hey, Lady«
angesprochen zu werden.
    Â»Eine ganze Spritze voll?«,
fragte er, als ich zurückkam. »Da steht wohl jemand auf mich.«
    Ich ging nicht darauf ein. »Wie
schlimm sind Ihre Schmerzen, auf einer Skala von eins bis zehn?«
    Â»Schlimm. Seeeehr schlimm.« Um
das zu illustrieren, wand er sich voller Dramatik. »Ich wurde angeschossen,
Lady.« Er schlug die Decke zurück, um mir den Verband an seinem Bein zu zeigen.
    Â»Haben Sie nicht heute
Vormittag erst Vampirblut bekommen?«
    Er lachte über seinen lahmen
Witz. »Ah, jetzt haben Sie mich erwischt. Aber wie oft kriegt man schon
kostenlos Morphium?«
    Â»Warum sollten Sie Morphium
wollen, wenn Sie Vampirblut kriegen können?«
    Â»Sie glauben, ich kriege das
Vampirblut kostenlos?« Er verdrehte die Augen und deckte sich wieder zu.
    Ich bereitete Kochsalzlösung
zum Spülen vor und verpasste ihm die ganze Ladung Morphin. Er würde heute Nacht
nicht sterben, und ich wollte nichts mehr von ihm hören.
    Bis zum Morgen hatte ich
alle Werte meiner seltsamen Patienten erfasst. Es gab quasi nichts zu
berichten, da keiner von ihnen irgendetwas tat. Ich war schon auf dem Weg zum
Fahrstuhl, als Gina mich einholte.
    Â»Hey, was war eigentlich mit
Charles los?«
    Â»Lebensmittelvergiftung«, log
ich, fühlte mich aber schrecklich dabei.
    Gina verzog das Gesicht. »Das
kommt davon, dass er sich ständig mit Käsetaschen vollstopft.«
    Ich fragte mich, welcher
Werwolf mich wohl heute sicher nach Hause geleitete – und was die nächste Nacht
alles bringen würde. In dem Moment, als ich die Eingangshalle erreichte, betrat
Helen mit einem zwanzigköpfigen Gefolge die Klinik. Als sie mich sah, lächelte
sie und löste sich aus der Gruppe.
    Â»Geht schon mal vor«, sagte sie
und winkte ihren Begleitern. »Du auch, Fenris.« Nachdrücklich gab sie ihrem
Sohn zu verstehen, sich in Bewegung zu setzen, da er Anstalten machte,
zurückzubleiben. Hinter ihrem Rücken winkte er mir hastig zu. »Heute werden
eine Menge Besucher kommen. Es gibt viele, die ihrem Anführer die letzte Ehre
erweisen wollen.«
    Die Kollegin aus der
Tagesschicht, die für Winter zuständig war, würde sich

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