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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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Schwäche
abzurutschen. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Zeremonie abbrechen könnte,
falls Anna eine Ohnmacht drohte.
    Als endlich das letzte Tablett
gefüllt war und niemand mehr in der Schlange stand, kam es mir vor, als wären
Stunden vergangen. Anna stand gelassen da, immer noch in makellosem Weiß,
zumindest solange man das Blutbad an ihrem rechten Arm ignorierte. Da ich
spürte, dass die Sache gelaufen war, hob ich den Schröpfschnepper an und sah
nun zum ersten Mal, wie er sich durch die Haut und in die Muskeln von Annas
Unterarm gebohrt hatte, bemerkte die zerfetzten weißen Sehnen und den hellen
Schimmer des Knochens. Doch schon begann die Wunde sich zu schließen, die
Sehnen fügten sich wieder zusammen, die Muskelstränge wuchsen nach.
    Ich hatte diesen Prozess noch
nie aus der Nähe beobachtet und keuchte überrascht. Es war ein echtes Wunder.
Und als ich mich umsah, wurde mir klar, warum gerade ich für diese Aufgabe
ausgewählt worden war: Die Menge war starr vor Gier. Es herrschte
spannungsgeladene Stille.
    Â»Wie ihr seht, habe ich die
letzte Prüfung bestanden«, wandte sich Anna an die Zuschauer und rollte ihren
Ärmel herunter. »Jenen, die sich für meine Prüfungen geopfert haben, spreche
ich meinen Dank aus. Nun trinkt und seid mir zugetan.«
    Einige Vampire versenkten ihre
langen Zungen in den kleinen Kelchen, andere legten den Kopf in den Nacken, um
jeden Tropfen aufzufangen, wieder andere rührten elegant mit ihren langen
Fingern in ihrem Gefäß und leckten anschließend die Blutstropfen wie Kuchenteig
davon ab. In ihren Augen war es sicher grausam, dass sie nur ein Schlückchen
von Annas Blut bekamen, obwohl sie es sich doch einfach nehmen konnten. Das heißt,
wenn einer von ihnen an meiner Stelle gestanden hätte und wenn sich Anna dessen
Loyalität nicht so absolut sicher hätte sein können wie meiner …
    Am hinteren Ende der Menge
entstand Unruhe. Einige Vampire schoben sich gewaltsam nach vorne und rempelten
sich dabei gegenseitig an – nicht einmal beim Zeremonienmeister, der sich
inzwischen hingesetzt hatte, machten sie eine Ausnahme. Diese Neuankömmlinge
waren auf die gleiche Art gekleidet wie die Sprecherin von Bathory, die sich
vorhin zu Wort gemeldet hatte. Doch irgendwie wirkten sie in ihrer Aufmachung
kostümiert und erweckten damit den Eindruck einer Schaustellertruppe vom
Mittelaltermarkt, die gerade Freigang hatte.
    Â»Kabinett Bathory stimmt
dagegen!«
    Â»Eure Chance ist vertan«,
erklärte der Zeremonienmeister.
    Â»Es ist unser Recht!«,
beschwerte sich einer der Nachzügler. »Ich bin der Führer dieses Kabinetts, ich
muss zur Abstimmung zugelassen werden.«
    Â»Die Stimmen sind bereits
ausgezählt.« Der Zeremonienmeister schien plötzlich zu wachsen und die Schatten
an sich zu ziehen, bis er den freien Raum ausfüllte.
    Â»Was wäre eurer Meinung nach
akzeptabel?«, fragte Anna und schob sich vor mich. Als sie die Stimme erhob,
schrumpfte der Zeremonienmeister wieder und zog sich zurück. Die Kämpfe der
heutigen Nacht hatte sie auszutragen.
    Der Mann, dessen Kostüm und
Bauchumfang an Heinrich den Achten erinnerten, trat vor. »Genug Blut, um darin
zu baden, wäre uns natürlich am liebsten.« Außer seinen Gefolgsleuten lachte
niemand über diesen Witz. »Doch wir würden uns auch mit einem kleinen Opfer
zufriedengeben. Vielleicht ein Angehöriger deines Hofstaats? Oder mehr Blut aus
deinen göttlichen Venen.«
    Mir war klar, dass Anna das
Abschlachten ihres Hofstaats nicht zulassen würde. Andererseits konnte die
Ablehnung durch das Kabinett Bathory ihre Position schwächen, und wenn sie
nicht mehr genug Blut für weitere dreißig Herausforderer hatte, durfte sie als
echter Vampir nicht zögern, ein Bauernopfer zu erbringen.
    Â»Ich nehme eure Herausforderung
an.« Anna trat noch einen Schritt vor. »Doch ich fürchte, ich kann meine
Gesandte nicht noch einmal einer solchen Belastung aussetzen.« Sie warf mir
einen übertrieben mitleidigen Blick zu und wandte sich dann wieder an die
Menge: »Deshalb sehe ich mich gezwungen, euch alle direkt von der Quelle
trinken zu lassen.«
    Sie ging zu ihnen hinunter und
reckte dem Mann, der ihr entgegenkam, das Handgelenk entgegen. Der witterte
eine Falle. Schließlich war es ein Naturgesetz, dass jedes Beutetier selten
schutzloser ist als in dem Augenblick

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