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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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erhalten hatte. Ich saß möglichst reglos da und verfluchte wieder
mal die Vampire, die mich so ins Chaos gestürzt hatten.
    Am liebsten hätte ich auf Y4 angerufen und uns
angekündigt. Und Lucas eine SMS geschrieben, um ihn zu fragen, was zur Hölle
hier eigentlich los war. Ich weigerte mich zu glauben, dass er etwas mit dem
Angriff auf mich zu tun hatte. Und dann waren da noch die Kratzer an meinem
Bein, dank derer ich mich einfach nicht schmerzfrei hinsetzen konnte.
    Gideon sah wie ich
herumzappelte, zog ein brandneues Handy aus seiner Manteltasche und hielt es
mir hin.
    Â»Danke. Aber ich weiß die
Nummern nicht auswendig.«
    Gideon streckte mir weiter das
Telefon entgegen. Schließlich nahm ich es, schaltete es ein und rief das
Telefonbuch auf. »Wann hast du denn das gemacht?«
    Gideon grunzte. Da war Jakes
Name, der meiner Eltern, alte Freundinnen von der Schwesternschule … »Du hast
ein Back-up von meinem Telefon für mich gemacht?«
    Er zuckte mit den Schultern.
Und meine einzige Sorge war gewesen, dass mein Bruder Ferngespräche führen
könnte. Ich rief Lucas’ Nummer auf und schickte ihm eine Nachricht: »Jorgen hat
mich angegriffen. Was soll der Scheiß?« Er würde zwar bis Sonnenaufgang Wolf
sein, aber vielleicht meldete er sich ja am Vormittag bei mir.
    Wir fuhren über Land, bis wir
den Freeway erreichten, und dann weiter durch die weniger hübschen Viertel der
Stadt. Zwei Ausfahrten vor dem County suchte der Fahrer im Rückspiegel meinen
Blick. »Also, wo wohnen Sie denn nun?«
    Â»Wie bitte?«
    Â»Ihre Adresse. Das muss doch
hier irgendwo sein, oder nicht?«
    Unwillkürlich spannte ich mich
an, zischte dann aber vor Schmerz. »Ich dachte, Sie bringen mich ins
Krankenhaus.«
    Â»Oh, das geht nicht. Das
grauenhafte Wetter lässt das leider nicht zu.« Der Wagen wurde langsamer.
    Ich schaute aus dem Fenster.
Ja, es hatte geschneit, aber auch nicht stärker als vor einer Stunde. Und die
Straße war frei geräumt. Unter anderen Umständen wäre es sogar ein hübscher
Anblick gewesen. Der Fahrer hielt die Limousine an.
    Â»Bei dem Eis kann ich nicht
fahren, Lady.« Sein Gesicht im Spiegel verfinsterte sich. »Und ich will bei dem
Wetter nicht die ganze Nacht im Krankenhaus festsitzen. Sie müssen sich
entscheiden.«
    Â»Wovon reden Sie überhaupt?«
Zähneknirschend beugte ich mich vor. Gideon packte meine Hand. Der Fahrer
machte Anstalten, den Rückwärtsgang einzulegen.
    Â»Schon gut, wir steigen hier
aus.« Ich riss die Tür auf und sprang aus dem Wagen, dicht gefolgt von Gideon.
Die Limousine drehte mitten auf der Kreuzung um und fuhr davon.
    Â»Vielleicht kann ich
mich jetzt schon in einen Wolf verwandeln, mich heilen und mir danach erst die
Spritze geben lassen«, murmelte ich, während wir Richtung Krankenhaus
humpelten. Gideon bot mir seinen Arm, den ich dankbar ergriff. »Das ist doch
Hühnerkacke.«
    Irgendwie war es unheimlich, im
Mondlicht so mitten auf der Straße zu laufen. Dann nahm ich seltsame Geräusche
wahr, so als würde Gegenverkehr im Schneckentempo durch den knirschenden Schnee
auf uns zukommen. Ich rechnete damit, gleich Scheinwerfer zu sehen, die uns
zwingen würden, den Weg frei zu machen. Doch nichts tauchte auf – erst als wir
einen kleinen Hügel erklommen hatten, konnten wir die Ursache des Geräuschs
sehen: Ein Menschenstrom kam uns entgegen. Einige der Leute hatten Gehhilfen,
die sie auf dem Eis benutzten, andere Krücken, Rollstühle oder Kniebandagen.
Sie gingen allein oder zu zweit, schoben Kinderwagen oder stützten sich
gegenseitig.
    Diese Menschen waren nicht auf
dem Weg zu einer fantastischen Silvesterparty, sondern verließen gerade das
County, manche nur im Krankenhaushemdchen. Es war ein Massenauszug, und wir
standen ihm im Weg.
    Gideon streckte den Arm aus und
schob die Leute beiseite. Ich versuchte, mit manchen von ihnen zu sprechen,
aber sie schwiegen genauso hartnäckig wie die Werwölfe von letzter Nacht.
    Â»Da stimmt etwas nicht,
Gideon«, sagte ich. Der drehte sich zu mir um und musterte mich mit seinem
augenlosen Kameralinsengesicht. Dann ertönte irgendwo auf Brusthöhe Großvaters
Stimme: »Und das merkst du erst jetzt?«
    Das County ragte vor uns
auf – im Mondlicht wirkte der kantige Betonbau wie eine Fabrik. Hunderte
Menschen strömten an uns vorbei, darunter auch reihenweise

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