Visite bei Vollmond
der Nahrungsaufnahme.
»Trink«, forderte Anna. Die
letzten Spuren der Schröpfwunden waren verschwunden. Der Herausforderer packte
ihren Unterarm, umklammerte ihn und biss zu.
Vampire fraÃen wie Haie, die
schwarzen Augen weit aufgerissen und so weit verdreht, dass sie im Schädel
verschwanden. Seine Fangzähne gruben sich tief in ihr Handgelenk und mit
solcher Gewalt, dass ich es hören konnte. Hinter ihm sammelten sich die
geifernden Angehörigen von Kabinett Bathory. Er konnte nicht einmal alles
aufnehmen, was aus Annas Vene schoss, zwischen seinen zurückgezogenen Lippen
quoll das Blut hervor und tropfte auf den Boden.
Andere, neidische Vampire
wurden langsam unruhig, und nicht alle von ihnen gehörten zu den Bathorys.
Falls das hier zu einem Blutbad ausartete, hatte ich keine Chance.
Annas Herausforderer schloss
genüsslich die Augen. Und in dem Moment schlug sie ihm den Kopf ab. Ohne ihre
Position zu verändern oder sich sonst irgendwie zu verraten, rammte sie ihre
Hand durch seinen Hals. Vielleicht war er zu trunken von ihrem Blut oder
benommen durch die Macht, die von ihm ausging, ⦠im einen Moment stand er noch
über Anna gebeugt da und trank, im nächsten hing sein Kopf noch an ihrem Arm,
während der Rest seines Körpers auf dem Boden aufschlug.
Doch er zerfiel nicht zu Staub
â aus dem offenen Halsstumpf lief immer noch Blut. Kabinett Bathory drängte
sich zusammen, fassungslos und bestürzt. Anna versetzte dem leblosen Körper
einen Tritt, sodass er auf sie zurollte.
»Trinkt von ihm, so trinkt ihr
durch ihn von mir. Versiegt mein Blut in ihm, so werdet ihr nur noch Staub
bekommen, und wer von euch nicht zu mir gehört, wird sterben.«
Sie fielen wie die Wölfe über
ihn her. ReiÃender Stoff wurde abgelöst durch das Geräusch von schmatzendem
Fleisch, dann knackten Knochen. Anna löste den Kopf von ihrem Handgelenk und
lieà ihn los. Noch bevor er den Boden erreichte, zerfiel er zu Staub und
beschmutzte ihr Kleid. Dann passierte dasselbe mit dem Rest des Körpers und die
Bathorys, die noch nicht getrunken hatten, heulten auf.
Anna wandte sich an den
Zeremonienmeister: »Bin ich nun ein Mitglied des Sanguiniums oder nicht?«
Seine Lippen verzogen sich zu
einem grausamen Lächeln. Er drehte sich zu jenen Vampiren um, die ich bisher
für Dienstboten gehalten hatte, da sie die Tabletts trugen, und einer nach dem
anderen nickte. Die restlichen Mitglieder des Sanguiniums waren also die ganze
Zeit unter uns gewesen. Die Vampire hatten das natürlich gewusst, doch mir
wurde es erst jetzt klar. Als er sprach, entblöÃte er schwarze Zähne: »Falls du
noch keines warst, als du hierherkamst, bist du nun zu einem geworden.« Er
musterte die Bathory-Vampire, die inzwischen die letzten Blutstropfen vom Boden
aufleckten und dabei jede Menge Staubflocken fraÃen. »Wir werden uns jetzt um
die Herde kümmern.«
Schnell schloss ich die Augen.
Ich wollte absolut nicht sehen, was nun kam.
Kapitel 47
Â
Mir
wurde erst bewusst, dass ich mir die Ohren zuhielt, als jemand an meinen Händen
zog. Ich hatte heute Nacht einfach zu viel mitgemacht und definitiv zu viel
Blut gesehen.
»Ist das etwa zu viel
für dich?« Sike hielt meine Hände fest und schüttelte mich. Dann schnippte sie
mit den Fingern vor meinen Augen, und ich konzentrierte mich auf ihr Gesicht.
»Ich bringe dich jetzt hier raus. Sie wird erst mal beschäftigt sein.« Uns war
beiden klar, dass sie damit Anna meinte. Ich wollte mich nicht umsehen.
Mit voller Absicht hatte ich
noch nie jemanden verletzt. Doch dann fiel mir ein, wie ich Jorgen verwundet
hatte, und dass sein Blut an mir klebte, und irgendwie auch das Blut des
Fahrers und ⦠Mir wurde übel.
»Nicht kotzen.« Sike legte mir
einen Arm um die Schultern. Statt wütend oder fordernd zu reagieren, schien sie
endlich einmal Mitgefühl zu zeigen. Dann führte sie mich zwischen den
Vampirgruppen hindurch, die nach wie vor zusammenstanden. In dieser Nacht hatte
sich zwischen uns etwas geändert. Wie spielten endlich im selben Team.
Die Veranstaltung hatte
nun den Charme einer Hollywoodhochzeit mit dem Leitmotiv Halloween: Das
Glamourvolk hielt Hof und die anderen, die offenbar völlig unterschiedliche
Lebensweisen und Berufsgruppen vertraten, scharwenzelten um sie herum â Männer
in Anzug und Trenchcoat genauso wie Frauen in Latex und Perlenkette.
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