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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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zurückkehrte.
    Ich griff zum Handy. »Darf ich
vorher ein paar Freunde anrufen?«
    Â»Bist du ganz sicher, dass es
Freunde sind?«, vergewisserte sich Meaty.
    Â»Nach allem, was ich heute
Nacht durchgemacht habe, sollten sie besser welche sein.«
    Doch ich rief nicht an, sondern
schickte zwei wortgleiche SMS – erst an Sike, dann an Lucas: »Im Krankenhaus
stimmt was nicht. Kannst du kommen?«
    Sike antwortete sofort: »Bin
unterwegs.« Von Lucas, der gerade wahrscheinlich weder Telefon noch Daumen
hatte, kam keine Reaktion.
    Gleich danach rammte mir Gina
die erste Impfdosis in den Arm, direkt in meinen Deltamuskel.
    Â»Verfluchte Scheiße, das tut
weh!« Allerdings weniger die Nadel, sondern mehr das Brennen, das sich von der
Einstichstelle her ausbreitete. Ich fühlte mich, als hätte mir jemand einen
Schlag verpasst.
    Â»Sei bloß froh, früher wurde
das Zeug in den Bauch gespritzt.«
    Meaty suchte online nach
Neuigkeiten. »Ich finde auch hier nichts über unseren Code Triage .
Gina, verrammele die Türen.«
    Gina ging zielstrebig auf das
Rohrpostrohr zu und schob suchend ihre Hand hinein. Dann zog sie einen
Metallhebel herunter, sodass er einrastete. Anschließend ging sie von Raum zu
Raum und betätigte weitere versteckte Riegel.
    Â»Wo steckt eigentlich Mr.
Hale?«, fragte ich sie, als sie zurückkam. Charles’ Tageslichtagent war nicht
in seinem Zimmer.
    Â»Der ist vor ungefähr einer
Stunde eine rauchen gegangen. Sobald er weg war, haben sie angefangen zu
heulen.«
    Von den Gehegen drang ein
Schrei herüber – Rachel. Gina sprintete sofort los, Meaty folgte ihr eilig. Ich
ebenfalls, aber wesentlich langsamer. »Wer ist das? Und was macht er bei meinen
Patienten?«, rief Rachel. Sie zeigte auf Gideon. Das fluoreszierende Licht
schmeichelte meinem Begleiter nicht gerade: Es betonte die Fremdkörper, die
sich unter seiner Haut wanden, obwohl sie eigentlich gar nicht da sein sollten.
    Â»Tut mir leid, er will nur
helfen, ehrlich«, sagte ich schnell, woraufhin Gideon zu mir trat und mir
wieder seinen Arm anbot.
    Â»Sind diese Zimmer alle
gesichert?«, fragte Meaty.
    Â»Natürlich.«
    Via Monitor konnte ich die
Insassen sehen, die stillen Männer und Frauen von gestern, die nun halb Mensch,
halb Tier waren – und alle stinksauer. Als sie unsere Stimmen im Flur hörten,
verdoppelten sie ihre Anstrengungen, zum Spielen zu uns rauszukommen.
    Â»Jetzt ist es zu spät, um ihnen
die Impfung zu geben, oder?«, fragte ich.
    Rachel warf mir einen
ironischen Blick zu. »Würdest du gerne eine dieser Türen öffnen?«
    Â»Absolut nicht.« Aber da war
noch etwas. Ich deutete mit dem Kopf auf Winters Tür. »Ist der
Gerichtsmediziner eigentlich gekommen?«
    Â»Nein. Wir haben zweimal
angerufen, aber es ist Feiertag«, antwortete Gina.
    Es musste eine Verbindung
zwischen all dem geben – den Angriffen auf mich, dem Angriff auf Anna, Viktors
Vergangenheit und Lucas’ Zukunft. Entweder hatte Winter die Antwort mit ins
Grab genommen, oder sie wartete hinter seiner Tür auf mich.
    Â»Gina, komm mit. Du auch,
Gideon.« Wir gingen zusammen zu Winters Zimmer.
    Sobald wir drin waren,
schaltete ich alle Lichter ein – es gab jetzt keinen Grund mehr für Diskretion.
Als ich die Decke zurückschlug, gesellte sich zu dem Nekrosegeruch, den bereits
die Werwölfe bemerkt hatten, der Gestank der Exkremente, der letzten
Entwürdigung im Tod, die wie nasser Zement an ihm und den Laken klebten.
    Â»Wonach suchen wir?«, fragte
Gina.
    Â»Ich bin nicht sicher.«
    Â»Ich habe jedenfalls keine
Lust, dir die Impfung zweimal geben zu müssen.« Sie reichte mir ein Paar
Latexhandschuhe, die ich brav anzog. Nur eine Krankenschwester riss im
Angesicht des Todes noch Witze, und ich hätte sie dafür küssen können.
    Sein nackter Körper wies
keinerlei Bissspuren auf, anders als die lizenzierten Spender der Vampire,
deren Nacken, Achseln und Lendengegend so oft verletzt wurden, dass sie
irgendwann total vernarbt waren. Winters Zugänge waren unverändert, sogar der
Endotrachealtubus. Was war es? Was entging uns?
    Ich ließ meine Hand über seine
Brust und Arme gleiten, dann über die Beine bis zu seinem verbliebenen großen
Zeh. Anschließend klopfte ich gegen seine nekrotische Fußsohle, in der
Erwartung, dass sie sich wie eine überreife, faulige Tomate anfühlen

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