Visite bei Vollmond
mit
einem Schlag, und auch wenn ich das niemals zugegeben hätte, fühlte ich mich
mit Lucas an meiner Seite doch etwas sicherer. Ich war erleichtert, dass Helen
ihn geschickt hatte, und nicht irgendeinen Werwolf, den ich überhaupt nicht
kannte.
»Jetzt sehen Sie so aus, als
bräuchten Sie Ibuprofen«, neckte mich Lucas.
»Es war einfach eine lange
Nacht.«
Er klopfte gegen den Wagen, an
dem er lehnte. »Ich wusste ja schon, welcher Wagen Ihrer ist, also habe ich
neben Ihnen geparkt. Ich werde Sie nach Hause eskortieren.«
Mein Bett und eine Dusche â
diese Vorstellung war wundervoll. Doch dann fiel mir auf, dass er wohl davon
ausging, mich anschlieÃend vom Inneren meiner Wohnung aus weiter zu beschützen
â in der ja auch noch Gideon und Veronica warteten. »Okay. Aber Sie können
nicht mit reinkommen.«
»Soll das heiÃen, Ihr Freund
weià nichts von dem Ganzen?«
»Was?«
»Sie riechen immer nach einem
unbekannten Mann. Da hatte ich angenommen â¦Â«
»Ach so â nein.« So verzweifelt
war ich noch nicht, dass ich mir einen Freund zurechtbastelte, der halb Mann,
halb Innenleben meiner Küchengeräte war. Da kaufte ich mir doch lieber neue
Batterien. »Er ist nur ein Freund.«
»Sie haben ziemlich viele
merkwürdige Freunde.«
»Wem sagen Sie das«, erwiderte
ich grinsend. »Also ⦠dann fahre ich mal und â¦Â«, setzte ich an, während ich
nach meinen Schlüsseln suchte.
»Werden Sie später Hunger
haben?«
»Ja«, antwortete ich ohne
nachzudenken.
»Sehr gut. Ich kann Sie in einem
Restaurant genauso gut beschützen wie vor Ihrer Wohnung. Wann stehen Sie auf?«
Mit den Schlüsseln in der Hand
schaute ich hoch. »Fieser Trick«, protestierte ich.
»Es sei denn, Sie wollen für
mich kochen, dann macht es mir auch nichts aus, bei Ihnen zu essen«, fuhr er
achselzuckend fort. »Die Kämpfe, wissen Sie. Ich muss bei Kräften bleiben. Ich
werde sogar vorher duschen.«
»Wow. Na, dann bin ich
natürlich dabei.«
Er hatte ein breites Grinsen im
Gesicht. Mir wurde klar, dass ich nur gewinnen konnte, wenn ich deutlich mehr
Kampfgeist aufbrachte â und dass es mir vielleicht gar nicht so viel ausmachte,
zu verlieren. »Wenn ich jetzt sage um sieben, darf ich dann endlich nach Hause
fahren?«
»Aber sicher doch.«
»Dann bis um sieben, Lucas. Auf
Wiedersehen.« Ich wartete noch, bis er in seinen Wagen gestiegen war, bevor ich
mich in mein Auto setzte.
Lucas folgte mir bis nach
Hause, aber er stieg nicht aus, wie abgemacht. Wenn noch mehr Leute in meiner
Wohnung rumhingen, würde ich auch bald Miete verlangen müssen.
Minnie erwartete mich an der
Wohnungstür, während Gideon immer noch elektronisch mit meiner Wand verbunden
war. »Wehe, du zapfst illegal das Kabelfernsehen an«, warnte ich ihn auf dem
Weg ins Bad.
Unter der Dusche wusch ich mir
die letzten Reste des eventuell eingebildeten Kotzegestanks aus den Haaren,
dann aà ich die Reste des Weihnachtskartoffelpürees auf und kroch um Viertel
vor neun endlich ins Bett.
Ich schlief wie eine
Tote. Nicht ganz so tot wie Veronica, aber fast. Als ich um sechs Uhr
nachmittags aufwachte, war es in der Wohnung dunkel, und meine Katze hatte sich
glückselig an mich gekuschelt.
Noch eine Stunde bis zu dem
verabredeten Essen mit Lucas. Ich fragte mich, wie der Abend wohl verlaufen
würde. Jemand zum Reden, der nicht an einer Steckdose hing oder in meinem
Kleiderschrank schlief, wäre vielleicht sogar ganz nett, auch wenn die
Gesellschaft nicht frei gewählt war.
Wenn ich allein zu Hause war,
alles still und dunkel, und ich mit all meinen Problemen ganz alleine
klarkommen musste â in solchen Momenten konnte ich mir selbst eingestehen, dass
ich Ti vermisste. Er war mein letzter Freund gewesen. Ja, ein Zombie ⦠aber es
hatte sich angefühlt wie mit einem echten Mann. Einem Erwachsenen. Jemandem,
dem ich vertrauen und auf den ich mich verlassen konnte, bis er dann mich
verlassen hatte. Er hatte seine Gründe gehabt, und sie hatten auch sehr
plausibel geklungen, aber trotz aller Vernunft fühlte ich mich im Stich
gelassen, vor allem, weil mir niemand garantieren konnte, dass er je
zurückkommen würde. Es hatte eine echt kurze Zeit gegeben, in der ich gedacht
hatte, ich müsste nicht mehr alleine sein, und das machte die Einsamkeit jetzt
umso schmerzhafter.
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