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Visite bei Vollmond

Visite bei Vollmond

Titel: Visite bei Vollmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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– aber die menschliche
Hälfte bräuchte Übung«, erklärte er mit verstellter Stimme, die wohl der seines
Vaters ähneln sollte. »Erst Jahre später habe ich begriffen, dass er das nur
getan hat, weil er es liebte, mich zu demütigen.«
    Â»Wie schrecklich.«
    Â»Ja, das war es. Später bin ich
einige Male im Jugendknast gelandet. Er hat mich immer erst bei Vollmond
rausgeholt. Dachte, er könnte mich so bestrafen. Dabei hatte er keine Ahnung,
dass ich lieber dringeblieben wäre.«
    Â»Lucas …« Ich stellte meinen
Becher bestimmt auf den Boden und tat so, als würde ich mit dem Finger eine
Gleichung in die Luft malen. »Sie hatten ein hartes Leben, plus Sie wurden auf
diese Aufgabe nicht vorbereitet, plus Sie sind nicht von hier. Warum genau
sollen Sie gleich noch mal Harscher Schnee anführen?«
    Â»Weil ich volljährig und der
nächste männliche Verwandte bin. So funktioniert unser System.« Er zuckte mit
den Schultern. »Ich bin ja nur der Platzhalter, bis Fenris Junior volljährig
wird. Glauben Sie mir: Ich will den Job nicht.«
    Â»Warum kann nicht Jorgen das
übernehmen?«
    Â»Er ist ein Gebissener. Er weiß
nicht, was es heißt, ein Wolf zu sein. Das, was ihn zum Menschen machte, engt
ihn immer noch ein.«
    Â»Und warum verpassen Sie ihm
und den anderen dann nicht die entsprechende Spritze und heilen sie? Oder sind
sie dem Klub wirklich alle freiwillig beigetreten?«
    Lucas starrte mich fassungslos
an, dann lachte er. »Ich habe mir nur gerade vorgestellt, wie Sie meinem Onkel
diese Frage stellen. Jorgen würde sagen, dass sein Dienst an meiner Familie
eine Ehre für ihn ist – er wurde vom Alten höchstpersönlich gebissen. Und was
die Sache mit dem Beitreten angeht – die Welt ist voller geheimnisvoller Pfade,
die man einschlagen kann, Edie.« Er beugte sich vor, sodass wir auf Augenhöhe
waren, und sagte mit rauer Stimme, in der der Wolf mitschwang: »Manchmal nimmt
man einen davon und verläuft sich im tiefen, dunklen Wald.«
    Ich rührte mich nicht und kam
mir einen Moment lang vor wie ein Kaninchen, über dem der Falke kreist. Dann
lachte Lucas und schüttelte den Kopf. »War natürlich nur Spaß.«
    Â»Natürlich«, bekräftigte ich
schnell. Hastig streckte ich ihm meinen Becher entgegen. »Gibt’s noch Kaffee?«

Kapitel 37
    Â 
    Ich
sah zu, wie Lucas barfuß über die Fliesen in die Küche tappte. Dort schenkte er
uns Kaffee nach, und ich fragte mich, wie weit ich wohl kommen würde, wenn ich
ihm die heiße Brühe ins Gesicht schleuderte und losrannte. Es schien zwar keine
direkte Bedrohung von ihm auszugehen, aber mein Unterbewusstsein war da ganz
anderer Meinung. Vielleicht war es ja dieser Jäger-Beute-Mechanismus: er die
Spinne, ich die Fliege.
    Als er mir meinen Becher
bringen wollte, piepte das Handy auf dem Küchentisch. Lucas nahm das Telefon an
sich und las die Nachricht. »Ihre Wohnung ist fertig.« Er hielt mir
gleichzeitig Becher und Telefon hin. »Damit Sie sehen können, dass sie mir
wirklich nichts anderes geschrieben haben.«
    Ich nahm den Kaffee und nippte
daran. Er hatte bereits so viel Milch und Zucker reingetan, dass er genauso
schmeckte wie der Erste. »Was weiß ich, das könnte ja auch ein ausgeklügelter
Code sein«, sagte ich halb scherzhaft.
    Â»Da trauen Sie meinen Leuten
aber zu viel zu. In der Wildnis würde ein dummer Wolf entweder verhungern oder
getötet werden. Aber wir verbringen die meiste Zeit in menschlicher Form; Sie
würden nicht glauben, wie viele von denen es schaffen, einfach so von einem Tag
auf den anderen zu leben.«
    Â»Wenn Sie meinen. Jedenfalls
vielen Dank für den Kaffee. Ich sollte jetzt wohl nach Hause gehen.«
    Er sah mich stirnrunzelnd an.
»Oder Sie könnten über Nacht hierbleiben. Dann wäre es für mich einfacher, Sie
zu beschützen.«
    Ich sah mich in dem kleinen
Wohnzimmer um. »Das halte ich für keine gute Idee.«
    Â»Sie trauen mir immer noch
nicht?«
    Â»Tut mir leid, aber ich wüsste
nicht, warum ich das sollte.«
    Wäre er wütend geworden, hätte
ich Angst bekommen. Doch er schien nur nachdenklich zu sein, als er zum Telefon
griff. »Na schön, ich rufe Ihnen ein Taxi. Der Fahrer ist einer von uns, er
wird den Rest der Nacht vor Ihrem Haus bleiben.«
    Der Anruf schien echt zu sein,
er gab eine Adresse

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