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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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als wäre das etwas, das nicht unbedingt erwähnt werden sollte, aber dann schaute er selbst verwundert.
    »Nun, das stimmt nicht ganz, Papa«, sagte er. »Aber die Steuern sind ... niedrig.« Er wirkte verdutzt.
    »Nun, dann seid Ihr wirklich gesegnet«, sagte ich liebenswürdig und tat so, als fände ich dieses völlig unverständliche Bild, das er da entwarf, nur normal.
    »Und dieser grässliche Oviso, erinnerst du dich an den?«, sagte der Mönch plötzlich zu seinem Vater. Dann wandte er sich zu mir: »Der war wirklich nicht gesund. Er hätte beinahe seinen Sohn umgebracht. Er war völlig au-
    ßer sich und brüllte wie ein wilder Stier. Es war gerade ein fahrender Arzt in der Stadt, der sagte, in Padua könnten sie ihn heilen. Oder in Assisi?«
    »Ich bin froh, dass er nie wieder zurückgekommen ist«, sagte der Alte. »Er hat wirklich die ganze Stadt in Aufruhr versetzt.«
    Ich betrachtete sie beide eingehend. Sprachen sie im Ernst? Oder war ihre Rede voller Zweideutigkeiten? Ich konnte in ihnen beiden nichts Verschlagenes entdecken, doch über den Mönch schien sich eine leichte Schwermut zu senken.
    »Gottes Wege sind seltsam«, sagte er. »Ach, ich weiß, das Sprichwort lautet ein wenig anders.«
    »Versuche nicht den Allmächtigen!«, mahnte sein Vater und trank den letzten Rest Wein aus seinem Becher.
    Ich schenkte beiden schnell nach.
    »Das stumme Jüngelchen«, sagte jemand.
    Ich sah auf. Es war der Wirt. Seine Schürze spannte sich über dem Schmerbauch, und er stand mit in die Hüften gestemmten Händen da. »Die Nonnen haben ihn mitgenommen, war's nicht so?«
    »Sind sogar seinetwegen noch einmal zurückgekommen, glaube ich«, sagte der Mönch. Er war nun ganz geistes-abwesend, bedrückt, würde ich sagen.
    Der Wirt nahm meinen geleerten Teller, dabei flüsterte er an meinem Ohr: »Der schlimmste Schrecken war die Pest. Oh, glaubt mir, sie ist vorüber, oder ich würde nicht wagen, das Wort auszusprechen. Kein anderes Wort treibt die Leute schneller aus der Stadt.«
    »Nein, und diese vielen Familien, fort, einfach so«, sagte der Alte, »unseren Ärzten sei Dank und den Mönchen, die in die Stadt kamen. Sie haben sie alle nach Florenz ins Spital gebracht.«
    »Opfer der Pest? Nach Florenz gebracht?«, fragte ich un-gläubig. »Da würde ich gern wissen, wer die Stadttore bewacht hat, und durch welches Tor sie überhaupt eingelassen worden sind.«
    Der Franziskaner starrte mich eine Weile wie gebannt an, als wenn ihn etwas zutiefst verstört hätte.
    Der Wirt drückte kurz die Schulter des Mönchs. »Nun haben wir glücklichere Zeiten«, sagte er. »Was mir fehlt, sind die Prozessionen zum Kloster - die gibt es natürlich auch nicht mehr -, aber ansonsten ist es uns nie besser gegangen.«

    Ich ließ meine Augen ganz bewusst vom Wirt zu dem Geistlichen gleiten und stellte fest, dass Letzterer mir direkt ins Gesicht sah. Ein Mundwinkel schien von einem Zucken erfasst. Er war nur nachlässig rasiert, sein Kiefer war schlaff, und sein tief zerfurchtes Gesicht hatte plötzlich einen traurigen Ausdruck.
    Der alte Mann warf ein, dass draußen auf dem Lande vor nicht allzu langer Zeit eine ganze Familie mit der Pest da-niedergelegen hatte, dass sie jedoch nach Lucca gebracht worden waren. »Das war die Großherzigkeit von
    ... wer war es noch, mein Sohn? Ich kann mich nicht ...«
    »Ach, das ist doch unwichtig«, sagte der Wirt, und an mich gerichtet fuhr er fort: »Noch etwas Wein, Signore?«
    »Für meine Gäste«, sagte ich und wies auf die beiden.
    »Ich muss jetzt gehen. Kein Sitzfleisch«, erklärte ich. »Ich muss sehen, was der Handel mir an Büchern bietet.«
    »Der Ort ist genau richtig für Euch«, sagte der Priester mit jäher Überzeugung, seine Stimme war sanft, und er wandte seinen Blick nicht von mir, während er die Augenbrauen grübelnd zusammenzog. »Wirklich ein hübscher Ort für Euch, und wir könnten noch einen Gelehrten brauchen. Aber -«
    »Nun, ich bin noch ziemlich jung«, sagte ich. Ich machte Anstalten aufzustehen, schob schon ein Bein über die Bank. »Jünglinge meines Alters gibt es hier wohl nicht?«
    »Nun, seht Ihr, sie gehen alle fort«, sagte der kleine Alte.
    »Ein paar sind hier geblieben, aber sie haben dann das Handwerk ihrer Väter übernommen. Nein, die Halunken lungern hier nicht herum. Nein, junger Mann, auf keinen Fall!«
    Der Mönch betrachtete mich so intensiv, als hörte er nicht, was sein Vater sagte.
    »Ja, und Ihr seid ein gebildeter junger Mann«, sagte

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