Vittorio
Blauregen überrankt war, der seine herrlichen Blüten über das hölzerne Gitterwerk ausbreitete. Die Herberge war im gleichen Teil der Stadt wie die Dominikanerkirche, so dass man auch von hier aus einen hübschen Ausblick über die Stadt zu meiner Linken und die dahinter liegenden Berge hatte.
Ich schloss die Augen, setzte die Ellenbogen auf den Tisch, faltete die Hände und betete. »Gott, sage mir, was ich tun soll. Zeige mir, was ich tun muss.« Und dann kehrte Ruhe in mein Herz ein, und ich widmete mich ge-duldigem Nachdenken.
Was für Möglichkeiten hatte ich?
Diese Geschichte in Florenz verbreiten? Wer würde mir dort Glauben schenken? Sollte ich zu Cosimo persönlich gehen und es ihm erzählen? Sosehr ich die Medici auch bewunderte und ihnen vertraute, musste ich mir doch eines klar machen: Außer mir lebte kein Mitglied meiner Familie mehr. Ich allein konnte noch Anspruch auf unser Vermögen erheben, das in der Bank der Medici lag. Ich glaubte zwar nicht, dass Cosimo mein Gesicht oder meine Unterschrift verleugnen würde, das nicht, er würde mir übergeben, worauf ich Anspruch hatte, ob ich nun noch Verwandte hatte oder nicht. Aber eine Geschichte über dämonische Unholde? Es würde damit enden, dass sie mich irgendwo in Florenz in Gewahrsam nahmen.
Und wenn wir schon vom Scheiterhaufen reden und davon, als Hexenmeister verbrannt zu werden - das war durchaus möglich. Nicht wahrscheinlich. Aber möglich.
So etwas konnte in einer Stadt wie dieser ganz plötzlich und spontan geschehen; ein Mob rottete sich zusammen, ein ansässiger Priester sprach Verleumdungen aus, Leute rannten unter Geschrei zusammen, um zu sehen, was los war. Hin und wieder geschah so etwas.
Inzwischen war mir mein Essen serviert worden, ein gutes Mahl mit viel frischem Obst und einem hervorragend zubereiteten Stück Hammelfleisch in dicker Soße, in die ich gerade mein Brot eintunken wollte, als zwei Männer an meinen Tisch kamen, die fragten, ob sie sich zu mir setzen und mir einen Becher Wein spendieren dürften.
Ich sah, dass der eine ein Franziskanermönch war, ein sehr gütig wirkender Priester, der offenbar ärmer war als die Dominikaner, was vermutlich nur logisch war, und der andere war ein älterer Mann mit kleinen, verschmitzten Augen, dessen lange, struppige Augenbrauen sich sträubten, als hätte er sie mit Leim hochgezwirbelt; er sah aus, als hätte er sich zur Freude der Kinder als fröhlicher Elf verkleidet.
»Wir haben Euch zu den Dominikanern hineingehen sehen«, sagte der Franziskanermönch ruhig und höflich, wobei er mich anlächelte. »Als Ihr herauskamt, machtet Ihr einen nicht allzu glücklichen Eindruck.« Er zwinkerte mir zu. »Wollt Ihr es nicht mit uns versuchen?« Dann lachte er. Es war nur ein gutmütiger, mir wohl bekannter Scherz über die Rivalität zwischen den beiden Orden.
»Ihr seid ein stattlicher junger Mann; kommt Ihr aus Florenz?«, fragte er.
»Ja, Vater, ich bin auf Reisen«, antwortete ich, »wenn ich auch noch nicht genau weiß, wohin es geht. Ich bin hier für eine Weile aufgehalten worden.« Ich sprach mit vollem Munde, aber ich war zu hungrig, um mein Mahl zu unterbrechen.
»Setzt Euch doch bitte.« Ich machte Anstalten, mich zu erheben, aber da ließen sie sich schon nieder.
Ich bestellte einen weiteren Krug Rotwein für unseren Tisch.
»Na, Ihr hättet keine hübschere Stadt finden können«, sagte der kleine alte Mann, der wohl seinen Verstand noch beisammen hatte, »deshalb bin ich auch so froh, dass Gott meinen Sohn wieder hierher geschickt hat, um in unserer Kirche zu dienen, so kann er den Rest seiner Tage bei seiner Familie verbringen.«
»Ah, Ihr seid also Vater und Sohn«, sagte ich.
»Ja, und ich dachte nicht, dass es mir noch vergönnt wä-
re, diese Stadt in solcher Blüte zu sehen wie jetzt«, sagte der Mönch mit naiver Ehrlichkeit. »Es ist ein wahres Wunder.«
»Ach, tatsächlich? Erklärt mir das. Wieso ist das so?«, fragte ich. Ich schob ihnen die Platte mit den Früchten zu.
Aber sie sagten, sie hätten schon gespeist.
»Nun, in meiner Jugend«, erzählte der Vater, »hatte jeder seine gehörige Portion Kummer, so kam es mir wenigstens vor. Aber nun? Dieser Ort ist wahrhaftig gesegnet.
Nichts Schlimmes geschieht mehr.«
»Das stimmt«, bestätigte der Mönch. »Wisst Ihr, ich kann mich noch an die Leprakranken aus früheren Zeiten erinnern, die draußen vor den Stadtmauern lebten. Sie sind alle fort. Und dann gab es immer ein paar Jugendliche, die
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