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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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schneller und immer schneller, bis ich die weit geöffneten Tore hinter mir gelassen und die offene Landschaft erreicht hatte, wo eine frische, will-kommene Brise wehte. Ringsum lagen üppige, gut bestellte Felder, Weinberge, Obsthaine und Bauernkaten -
    Ausblicke auf einen reichen, fruchtbaren Landstrich, die mir, da ich im Dunkeln angekommen war, entgangen waren. Und von der nach Norden führenden Straße war auf Grund der Ausdehnung der Stadt nichts zu sehen, denn deren Befestigungen waren größtenteils nach Norden ausgerichtet.

    Unter mir, auf einem Hügelkamm, lagen Ruinen, wahrscheinlich die des einstigen Klosters, und weiter westlich sah ich etwas, das wohl die Abtei gewesen war.
    Innerhalb einer Stunde war ich an zwei Höfen vorbeige-kommen, jedes Mal trank ich mit dem Bauern einen Becher kühlen Wassers.
    Ich hörte die gleichen Worte wie zuvor: Sie lebten in einem Paradies - keine Bösewichter, keine Schrecken erre-genden Hinrichtungen, der allerfriedlichste Ort der Welt und überall nur gesunde, wohl gestaltete Kinder. Es war Jahre her, dass Räuber es gewagt hatten, sich in den Wäldern herumzutreiben. Natürlich wusste man nie, was für Volk sich auf der Durchreise befand, aber die Stadt war ja stark und bewahrte den Frieden.
    »Ach, selbst auf der Straße nach Norden?«, fragte ich.
    Keiner der Bauern wusste etwas von einer solchen Stra-
    ße. Als ich fragte, was aus den Kranken, den Lahmen und Verletzten geworden war, hörte ich auch hier das Gleiche. Der eine oder andere Arzt oder ein Priester, oder Klosterbrüder, oder Nonnen hatten sie fortgebracht, zu einer berühmten Universität oder in eine große Stadt.
    Die Bauern konnten sich an nichts anderes erinnern.
    Als ich die Stadt wieder erreichte, war die Dämmerung noch nicht angebrochen. Ich wanderte umher und steckte meine Nase in alles, ging, fast schon systematisch, in einen Laden nach dem anderen und betrachtete jeden so gründlich, wie es nur möglich war, ohne unerwünschte Aufmerksamkeit zu wecken. Natürlich bestand keine Hoffnung, dass ich auch nur eine Straße vollständig un-tersuchen könnte, aber ich war entschlossen, so viel herauszufinden, wie in meiner Macht stand.
    Bei den Buchhändlern blätterte ich durch die alte Ars Grammatica und die Ars Minor. Die schönen großen Bi-beln, die zum Verkauf auslagen, mussten allerdings auf mein Bitten hin erst aus den Bücherschränken geholt werden.
    »Welcher Weg führt von hier aus nach Norden?«, fragte ich den gelangweilten Mann, der mich, auf einen Ellbogen gelehnt, schläfrig betrachtete.
    »Norden, pah, niemand will nach Norden«, sagte er und gähnte mir ins Gesicht. Er trug feine Kleider ohne eine einzige Flickstelle und gute neue Schuhe aus sorgfältig verarbeitetem Leder. »Seht her«, fügte er hinzu, »ich ha-be noch viel bessere Bücher als diese hier.«
    Ich heuchelte Interesse, erklärte ihm aber dann höflich, dass das Bücher waren, die ich alle schon in ähnlicher Ausführung besaß, aber trotzdem vielen Dank.
    Dann ging ich in eine Schenke, wo man sich beim Wür-felspiel laut und munter unterhielt, als hätte man nichts Besseres zu tun. Schließlich wanderte ich durch das Bä-
    ckerviertel, wo selbst ich fand, dass das frische Brot einen wunderbar köstlichen Duft verbreitete.
    Nie in meinem Leben hatte ich mich so vollkommen verlassen gefühlt wie jetzt, als ich mich inmitten dieser Leute bewegte, ihrem heiteren Geplauder lauschte und immer wieder die gleiche Geschichte von sicherer Obhut und Wohltaten zu hören bekam.
    Mir gefror das Blut in den Adern, wenn ich an die Nacht dachte. Und was hatte es mit dieser geheimnisvollen Straße nach Norden auf sich? Abgesehen von dem Mönch, hatte keiner, kein Einziger auch nur die Braue gehoben, wenn ich diese Kompassrichtung erwähnte.
    Etwa eine Stunde vor Anbruch der Dunkelheit kam ich zufällig in ein Geschäft, das Seide und Spitzen aus Venedig und Florenz führte, und hier zeigte die Inhaberin mit meinem müßigen Herumtrödeln nicht so viel Geduld, trotz der Tatsache, dass ich offensichtlich reichlich Geld besaß.

    »Warum fragt Ihr so viel?«, sagte sie. Sie wirkte müde und abgespannt. »Glaubt Ihr, es ist einfach, ein krankes Kind zu pflegen? Seht, dort drüben!«
    Ich starrte sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
    Aber dann dämmerte es mir, ich sah es mit kühler Klar-heit und wusste genau, was sie meinte. Ich schob den Kopf durch einen von Vorhängen verhüllten Durchgang und sah ein fiebriges, kränkliches

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