Vittorio
Kind, das in einem un-sauberen, schmalen Bettchen schlummerte.
»Glaubt Ihr, das ist einfach? Das geht so Jahr um Jahr, und ihr Zustand bessert sich nicht«, sagte die Frau.
»Das tut mir Leid«, sagte ich. »Aber was kann man tun?«
Die Frau löste ein paar Stiche aus ihrer Arbeit und warf die Nadel hin. Sie schien mit ihrer Geduld am Ende.
»Was man tun kann? Ihr wollt behaupten, dass Ihr das nicht wisst?«, flüsterte sie. »Ihr, ein so kluger Mann?« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Aber mein Gatte sagte,
›nein, noch nicht!‹, und so machen wir also weiter.«
Sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, dabei murmelte sie vor sich hin, und ich, der ich schockiert war und nur mühsam die Fassung wahrte, setzte meinen Weg fort.
Ich suchte noch zwei weitere Läden auf, doch da geschah nichts Besonderes. In dem dritten Geschäft allerdings fand ich einen alten Mann, der nicht mehr bei Verstand war, und seine beiden Töchter versuchten gerade, ihn davon abzuhalten, sich die Kleider auszuziehen.
»Kommt, lasst mich Euch helfen«, bot ich sofort an. Wir drückten ihn mit vereinten Kräften in einen Stuhl und konnten ihm sein Hemd über den Kopf ziehen. Endlich hörte er auf, unverständliche Geräusche von sich zu geben. Er war sehr gebrechlich, Speichel tropfte aus seinem Mund.
»Ach, Gott sei Dank wird es nicht mehr lange dauern«, sagte die eine Tochter, während sie sich die Stirn wischte. »Es ist eine Gnade.«
»Wieso wird es nicht mehr lange dauern?«, fragte ich.
Sie schaute zu mir auf, ihr Blick schweifte ab und richtete sich dann wieder auf mich. »Oh, Ihr seid fremd hier, Signore, vergebt mir, Ihr seid so jung. Als ich Euch ansah, hielt ich Euch für einen Knaben. Ich meinte, der Vater ist schon so alt, Gott wird barmherzig sein.«
»Hmmm, ich verstehe«, sagte ich.
Sie sah mich mit kalten, schlauen Augen an, die wirkten, als wären sie aus Metall. Ich verneigte mich und ging hinaus. Der Alte hatte aufs Neue begonnen, sich das Hemd auszuziehen, und die andere Tochter, die bisher nichts gesagt hatte, schlug ihn.
Ich sog scharf den Atem ein, ging aber weiter. Ich beab-sichtigte, möglichst viel herauszufinden.
Ich ging an ein paar recht verschlafenen Schneiderwerk-stätten vorbei und kam schließlich in den Bezirk der Por-zellanhändler, wo sich zwei Männer wegen eines reich verzierten Präsentiertellers herumstritten. Nun, diesen großen Teller hatte man einst wirklich benutzt, um das Kind darauf in Empfang zu nehmen, wenn es aus dem Leib der Mutter glitt, doch zu meiner Zeit waren sie nur noch eine extravagante Gabe zur Geburt eines Kindes, denn sie waren mit hübschen kunstvollen Mustern versehen. Und dieser Laden hatte eine beeindruckende Auswahl davon.
Ich hörte die Diskussion, ehe man mich bemerkte.
Einer der Männer sagte, er wolle den verflixten Teller kaufen, während der andere entgegnete, das Kind würde nicht überleben und die Gabe wäre voreilig, und ein Dritter sagte, die Mutter würde sich auf jeden Fall über diesen herrlich verzierten Präsentierteller freuen.
Sie verstummten, als ich den Laden betrat, um mir die im Ausland hergestellten Waren anzuschauen, und als ich die Männer nicht weiter beachtete, murmelte einer von ihnen leise: »Wenn sie nur ein bisschen Verstand hat, wird sie es tun.«
Die Worte trafen mich, und zwar so sehr, dass ich mich auf dem Absatz umdrehte, einen ansehnlichen Teller von dem Regal nahm und so tat, als wäre er mir ganz besonders ins Auge gefallen. »Ach, wie hübsch«, sagte ich, als hätte ich ihr Gespräch nicht gehört.
Der Händler erhob sich und begann die ausgestellten Waren anzupreisen. Die anderen schoben sich hinaus und verschwanden in der anbrechenden Dunkelheit. Ich sah den Mann an und fragte: »Hat das Kind ein Gebre-chen?« Dabei ließ ich meine Stimme so kindlich zart wie nur möglich klingen.
»Ach, nein, nun, das wohl nicht, aber Ihr wisst ja, wie das ist«, sagte der Mann. »Das Kind ist ein bisschen arg winzig.«
»Schwächlich«, bot ich an.
Sehr unbeholfen stimmte er zu: »Ja, schwächlich.« Sein Lächeln war künstlich, aber er glaubte, er hätte mich mit Erfolg getäuscht.
Dann wandten wir uns beide seinen Waren zu und begutachteten sie umständlich. Ich kaufte schließlich ein winziges Porzellantässchen mit entzückendem Muster, das er angeblich von einem Venezianer erworben hatte.
Ich wusste verdammt gut, dass ich ohne ein weiteres Wort hätte gehen sollen, doch ich konnte mich nicht zu-rückhalten, und als
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