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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wirklich schlimm waren, junge Männer, die nichts als Ärger machten, Ihr wisst schon, von der wirklich üblen Sorte. Die gibt es in jeder Stadt. Aber jetzt? In ganz Santa Maddalana und den Dörfern ringsum könntet Ihr nicht eine schlechte Person finden. Es ist, als hätten sich die Menschen von ganzem Herzen wieder Gott zugewandt.«
    »Ja«, stimmte der koboldhafte Alte kopfschüttelnd zu.

    »Und Gott war auch sonst sehr gnädig mit uns.«
    Wieder einmal liefen mir Schauer über den Rücken, so wie zuvor bei Ursula, doch nun waren es keine Wonne-schauer.
    »Woran genau merkt man das denn?«, fragte ich.
    »Nun, seht Euch doch um«, sagte der Alte. »Habt Ihr auch nur einen Krüppel auf den Straßen gesehen? Oder Geistesschwache? Als ich noch ein Kind war, ach, als du, mein Sohn, ein Kind warst« - er wandte sich an den Geistlichen -, »gab es immer ein paar unglückliche Seelen, die missgestaltet oder schwach im Kopfe geboren wurden, Ihr wisst schon, und man musste sich um sie kümmern. Ich kann mich noch daran erinnern, dass frü-
    her immer Bettler vor den Toren lungerten. Nun gibt es schon lange keine Bettler mehr hier, seit Jahren nicht.«
    »Erstaunlich«, sagte ich.
    »Ja, das ist wahr«, sagte der Mönch nachdenklich. »Alle hier sind bei guter Gesundheit. Darum sind auch die Nonnen schon lange fortgezogen. Habt Ihr bemerkt, dass das alte Spital verschlossen ist? Und der Konvent drau-
    ßen vor der Stadt ist schon seit langer Zeit verlassen. Ich glaube, da hausen jetzt Schafe. Die Bauern nutzen die alten Räume.«
    »Und es wird nie jemand krank?«, wollte ich wissen.
    »Nun, das schon«, sagte der Mönch, während er einen bedächtigen Schluck von seinem Wein nahm, so als lebte er in dieser Hinsicht sehr maßvoll. »Aber wisst Ihr, es leidet keiner. Es ist nicht wie früher. Es ist wohl eher so, dass, wenn jemand gehen muss, das Ende sehr schnell kommt.«
    »Ja, wie wahr, und Gott sei Dank dafür«, sagte der Ältere. »Und die Frauen«, fuhr der Franziskaner fort, »sie sind gut dran hier. Sie sind nicht mit so vielen Kindern geschlagen. Oh, es sind viele, die Gott gleich in ihren ersten Lebenswochen zu sich nimmt - das ist nun mal der Fluch der Mutterschaft -, im Allgemeinen sind unsere Familien segensreich klein.« Er sah seinen Vater an. »Meine arme Mutter«, sagte er, »sie hatte insgesamt zwanzig Kinder.
    Nun, das kommt heute nicht mehr vor, ist es nicht so?«
    Der kleine Alte streckte die Brust raus und lächelte voller Stolz. »Ja, zwanzig Kinder habe ich mit eigenen Händen großgezogen; nun, viele sind ihre eigenen Wege gegangen, und ich weiß nicht einmal, was aus ... aber was soll's. Nein, jetzt gibt es hier nur noch kleine Familien.«
    Der Mönch schaute leicht bekümmert. »Meine Brüder -
    vielleicht gewährt mir Gott ja eines Tages die Gnade, zu erfahren, was aus ihnen wurde.«
    »Ach, denk nicht mehr an sie«, sagte der Alte.
    »Sie waren wohl ein recht lebhafter Haufen, oder?«, murmelte ich kaum hörbar, während ich sie beide beobachtete und versuchte, es ganz natürlich aussehen zu lassen. »Schlimm«, murmelte der Mönch kopfschüttelnd.
    »Aber das ist ja unser Glück! Seht Ihr, die Schlimmen gehen alle fort von hier.«
    »Wahrhaftig?«, fragte ich.
    Der zierliche Alte kratzte sich seinen rosigen Schädel.
    Sein dünnes, weißes Haar war lang und sträubte sich in alle Richtungen, genau wie seine Augenbrauen.
    »Weißt du, ich versuche gerade, mich daran zu erinnern, was aus diesen armen verkrüppelten Jungen wurde, erinnere dich doch, die mit den kranken Beinen - sie waren Brüder ...«
    »Oh, Tomasso und Felix«, sagte der Priester.
    »Ja.«
    »Sie haben sie nach Bologna gebracht, damit sie dort ge-heilt würden. Genau wie der Junge von Bettina, der, der ohne Hände geboren wurde, der arme Kleine, erinnere dich doch.«

    »Ja, ja, sicher. Wir haben ja auch mehrere Ärzte.«
    »Ja? Ich frage mich, was sie zu tun haben?«, murmelte ich. »Was ist mit dem Gemeinderat?« In Florenz nannte man ihn Gonfalionier, das war der, der wenigstens nomi-nell die Verwaltung innehatte.
    »Wir haben hier einen borsellino«, erklärte der Geistliche.
    »Von Zeit zu Zeit ziehen wir ein paar neue Namen heraus, aber es passiert hier nie groß etwas. Es gibt keine Streitereien. Um die Steuern kümmern sich die Kaufleute.
    Alles läuft wie geschmiert.«
    Der kleine Alte begann zu lachen. »Ach, Steuern gibt es hier gar nicht!«, verkündete er.
    Sein Sohn, der Geistliche, schaute den alten Burschen an,

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