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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ich bezahlte, fragte ich: »Glaubt Ihr, das arme schwächliche Kind wird überleben?«
    Er nahm das Geld entgegen, dabei lachte er, ein raues tiefes Lachen. »Nein«, sagte er und blickte mich an, als wäre er in Gedanken versunken gewesen. »Sorgt Euch nicht deswegen, Signore«, fügte er mit einem kleinen Lächeln hinzu. »Habt Ihr vor, hier zu wohnen?«
    »Nein, mein Herr, ich bin nur auf der Durchreise, auf dem Weg nach Norden«, sagte ich.
    »Nach Norden?«, fragte er ein wenig irritiert, aber sarkastisch. Er klappte seine Geldkassette zu und drehte den Schlüssel im Schloss. Und dann, während er die Schatulle in seinem Schrank unterbrachte, sagte er kopfschüttelnd: »Nach Norden, so, so. Nun, dann alles Gute, mein Junge.« Er schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Das ist eine sehr alte Straße. Ihr solltet besser sehr früh am Morgen aufbrechen und so schnell reiten, wie Ihr könnt.«
    »Ich danke Euch, mein Herr«, sagte ich.
    Die Nacht brach herein. Ich eilte in eine schmale Gasse, blieb dort an eine Mauer gelehnt stehen und rang nach Atem, als würde ich verfolgt. Ich ließ das Tässchen fallen, und es zersplitterte geräuschvoll, so dass der Lärm zwischen den hohen Häusern widerhallte.
    Ich war kaum noch bei Verstand. Doch noch im gleichen Moment traf ich eine unabänderliche Entscheidung, obwohl ich mir meiner Situation voll und ganz bewusst und fest von der Wahrheit der entsetzlichen Dinge überzeugt war, die ich herausgefunden hatte.
    Meine Herberge bot mir keine Sicherheit, was sollte es also? Ich würde die Sache so in Angriff nehmen, wie ich es für richtig hielt, und würde dann schon sehen.
    Und jetzt sage ich Ihnen, was ich tat.
    Ohne in das Gasthaus zurückzukehren, ohne offiziell mein Zimmer dort aufzukündigen, wandte ich mich, sobald mir die Dunkelheit ausreichend Schutz bot, hang-aufwärts und stieg die sich immer stärker verengenden Gassen hinan, die zu der zerfallenen Festung führten.
    Nun hatte ich diese gewaltige Ansammlung von Steinblöcken, die von endgültigem Niedergang kündete, den ganzen Tag vor Augen gehabt, und mir war klar, dass hier alles zerstört und vollkommen verlassen war, abgesehen von ein paar Vögeln; einzig das untere Stockwerk beherbergte vermutlich einige Amtsstuben, wie ich bereits sagte.
    Doch zwei aufrecht stehende Türme waren von der Festung übrig geblieben, einer überblickte die Stadt, und der andere, der schon etwas zerfallen war, hing einsam auf dem Rand eines Steilhangs; das hatte ich von weitem gesehen, als ich die Gehöfte besucht hatte.
    Nun, ich machte mich zu dem Turm auf, der die Stadt überblickte.
    Die Amtsstuben waren natürlich schon verschlossen, und die Nachtwachen würden bald unterwegs sein, und nur aus wenigen Schenken hörte man noch Lärm; das waren offensichtlich die, die ungeachtet der Vorschriften geöffnet hielten.
    Der Platz vor der Festung war leer, und da die drei ab-wärts führenden Straßen sehr kurvenreich waren, konnte ich außer ein paar kümmerlichen Fackeln fast nichts mehr sehen.
    Der Himmel war jedoch erstaunlich klar, nur ein paar plustrige, formlose Wolken hoben sich deutlich gegen das dunkle Blau der Nacht ab, und die Sterne schienen ungewöhnlich zahlreich.
    Im noch benutzbaren Teil der Zitadelle fand ich eine alte Wendeltreppe, beinahe zu schmal für einen Menschen, die zur ersten steinernen Plattform vor einen der Eingänge zum Turm führte.
    Dieser Baustil war mir natürlich nicht neu. Die Steine waren grober behauen als die unserer alten Burg, auch dunkler in der Farbe, aber der Turm war gedrungen und quadratisch und zeitlos massiv gebaut. Seiner Entste-hungszeit nach zu urteilen, musste er ein aus Steinen ge-fügtes Treppenhaus besitzen, das bis in eine beträchtliche Höhe reichte, und so war es auch; doch bald schon endete mein Aufstieg in einem der oberen Gelasse, von wo aus ich die ganze sich unter mir ausbreitende Stadt überblicken konnte. Es gab noch höher gelegene Räume, doch die waren in früheren Zeiten nur mit Hilfe hölzerner Leitern zugänglich gewesen, die man einziehen konnte, damit man den Feind von oben schlagen und ihm den Weg abschneiden konnte. Dahin vorzu-dringen war mir natürlich nicht möglich. Ich hörte Geräusche von Vögeln, die dort nisteten und von mir ge-stört worden waren. Und ich hörte den leichten Wind durch die Mauern streichen.
    Aber diese Höhe schien mir gerade recht. Aus den vier engen Fenstern des Turmes konnte ich in alle Himmels-richtungen schauen. Und am

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