Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
und offensichtlich war dieses Spektakel nur von einer Seite der Stadt sichtbar, dieses Schauspiel eines von Wäldern ummantelten Bauwerks, in dem für eine obskure Festlichkeit anscheinend jede Fackel und jedes Wachslicht angezündet und jedes Fenster, jede Wehrbrüstung und jede Nische mit Laternen behängt worden war.
    Norden, ja, das war Norden, denn hinter mir fiel die Stadt steil ab, und diese Burg lag im Norden, und das war die Richtung, vor der ich mich in Acht nehmen sollte. Wem in dieser Stadt sollte so ein Ort verborgen geblieben sein, und dennoch hatte auch nicht ein einziger Mensch ein Wort gesagt, außer dem verschreckten Franziskanermönch an meinem Tisch im Gasthaus.
    Aber worauf ruhte mein Blick denn? Was sah ich wirklich? Regelrechtes Dickicht, das ja; und was ich noch sah, lag ziemlich hoch oben, versteckt hinter dichtem Wald, durch den das Licht bösartig, bedrohlich, wieder und wieder rhythmisch aufflackerte - aber was war das, was daraus hervorströmte? Was war das, was sich da ungestüm, in der Dunkelheit kaum sichtbar, auf den Hängen fortbewegte, die von dem geheimnisvollen Vorgebir-ge abfielen?
    Bewegte sich da etwas durch die Nacht? Bewegte sich etwas von diesem entfernten Schloss direkt auf die Stadt zu? Unförmige schwarze Dinge, wie große gestaltlose Vögel, die den unregelmäßigen Linien der Landschaft folgten, aber nicht an die Schwerkraft gebunden schienen? Waren sie auf dem Weg zu mir? War ich in einem Zauber befangen?
    Nein, meine Augen täuschten mich nicht. Oder doch?
    Dutzende kamen dort. Sie kamen immer näher.
    Eigentlich waren ihre Umrisse überhaupt nicht groß, eher klein. Die Größe war eine Täuschung, durch die Tatsache verursacht, dass diese Wesen in kleinen Trupps unterwegs waren, die sich nun, kurz vor der Stadt, auflösten, und ich sah die einzelnen Gestalten wie riesige Motten die Mauern gegenüber meinem Beobachtungspunkt hinaufhuschen. Ich drehte mich um und rannte zum Fenster. Sie waren in einem großen Schwärm über die Stadt hergefallen! Ich sah, wie sie von der Mauerkrone sprangen und in der Dunkelheit verschwanden. Unter mir auf dem Platz tauchten zwei schwarze Schatten auf, Männer in fließenden Umhängen, die rennend oder eher noch mit großen Sätzen in den Straßeneinmündungen verschwanden und dabei lautes, kühnes Gelächter ausstießen.
    Ich hörte Weinen durch die Nacht dringen, ich hörte Schluchzen. Ich hörte ein dünnes Wimmern und ein ersticktes Stöhnen.
    Nirgendwo in der Stadt flammte Licht auf.
    Dann tauchten aus der Dunkelheit heraus diese Kreaturen des Bösen wieder oben auf der Stadtmauer auf, rannten direkt an der Kante entlang, dann ein Sprung, und sie waren draußen.
    »Gott, ich kann euch sehen! Seid verflucht!«, flüsterte ich. Unvermittelt tönte ein lautes Geräusch in meinen Ohren, Bahnen weichen Stoffes fegten über mich hin, und dann ragte die Gestalt eines Mannes vor mir empor.
    »Du kannst uns also sehen, mein Junge?« Das war die kräftige Stimme eines jungen Mannes, der sehr erheitert klang. »Mein ach so neugieriger kleiner Junge?«
    Für das Schwert war er mir zu nahe. Ich sah nichts als die wehenden Gewänder. Mit voller Kraft, unter Einsatz von Ellbogen und Schulter, stürzte ich mich auf seinen Unterleib. Das Lachen des Mannes hallte in dem Turm.
    »Ah, aber das tut mir nicht weh, Kind, und wenn du so neugierig bist, nun, dann nehmen wir dich doch ebenfalls mit, so dass du zu sehen bekommst, was du gerne sehen möchtest.«
    Er fing mich in einem Bündel erstickenden Stoffes ein.
    Und dann spürte ich plötzlich, wie ich in einen Sack gesteckt und hochgehoben wurde, und ich wusste, wir hatten den Turm hinter uns gelassen!
    Ich hing kopfüber, und mir war speiübel. Er schien zu fliegen und mich dabei auf dem Rücken zu tragen, und sein Gelächter wurde nun halbwegs vom Winde fortgeweht.
    Ich konnte meinen Arm nicht freibekommen. Ich spürte zwar mein Schwert, konnte den Griff jedoch nicht fassen.
    Verzweifelt suchte ich nach dem Dolch, nicht nach dem, den ich wahrscheinlich fallen gelassen hatte, als er mich packte, sondern nach dem anderen in meinem Stiefel-schaft, und als ich ihn dann hatte, drehte und wand ich mich, bis ich die grobe Rückseite vor mir spürte, auf der ich unter wütendem Knurren diesen unruhigen Ritt ab-solvierte. Dann stach ich den Dolch mit Macht immer und immer wieder durch den Stoff.
    Er stieß einen wilden Schrei aus. Noch einmal stach ich zu.
    Mein Körper wurde mitsamt dem Sack in die Höhe

Weitere Kostenlose Bücher