Vittorio
Gral. Du gehörst dem Herrn dieses Hofes. Nun komm, ich muss dich vorbereiten.«
»Wofür willst du mich vorbereiten?«
»Für die Messe, du musst jetzt gehen, steh auf«, sagte der Dämon, der sich, auf seinen Besen gestützt, gelangweilt über mich beugte; sein glänzendes Haar umgab sein Gesicht wie Elfengespinst. »Steh auf, Junge, sie warten auf dich. Es ist beinahe Mitternacht.«
»Nein, nein, noch nicht Mitternacht, nein!«, rief ich.
»Nein!«
»Hab keine Angst«, sagte er kalt und gleichgültig. »Das hat sowieso keinen Zweck.«
»Aber du verstehst nicht, es geht mir darum, dass ich meine Zeit verschwendet, meinen Verstand nicht genutzt habe - um die vertanen Stunden, in denen mein Herz zwar schlug, doch mein Hirn schlief! Ich habe keine Angst, du elender Dämon!«
Er drückte mich flach in das Heu und wusch mir das Gesicht.
»Da, sieh an, du bist ein gut aussehender, feiner Bursche. Solche wie dich opfern sie immer sofort. Du bist zu kräftig, dein Körper und deine Glieder sind gut geformt.
Und von dir träumt die Dame Ursula und beweint dich.
Sie haben sie wegbringen müssen.«
»Ah, aber ich habe auch geträumt ...«, sagte ich. Sprach ich etwa zu diesem monströsen Diener, als wären wir Freunde? Wo war das gewaltige, herrliche Gewirk meiner Träume, die unglaubliche, strahlende Pracht, die ich gesehen hatte?
»Du kannst ruhig mit mir sprechen, warum nicht?«, sagte er. »Du wirst in Verzückung sterben, mein hübscher junger Herr. Und du wirst die Kirche hell erleuchtet sehen, und dann die Messe! Du wirst das Opfer sein.«
»Nein, ich habe von den Wiesen geträumt«, sagte ich.
»Ich sah dort etwas. Nein, nicht Ursula.« Ich sprach mit mir selbst, mit meinem eigenen kranken, vom Teufel ver-hexten Verstand, redete ihm gut zu. »Ich habe ein Wesen auf der Wiese gesehen, jemand so ... ich kann nicht ...«
»Du machst es dir nur selbst schwer«, sagte der Dämon beruhigend. »Da, ich habe all deine Knöpfe und Schnallen ordentlich geschlossen. Was musst du doch für ein feiner Herr gewesen sein.«
Gewesen sein, gewesen sein, gewesen sein ...
»Hörst du das?«, fragte er.
»Ich höre nichts.«
»Es ist die Uhr, sie schlägt die Viertelstunde vor Mitternacht. Es ist Zeit für die Messe. Kümmere dich nicht um den Lärm. Das sind die anderen, die auch geopfert werden. Lass dich davon nicht aus der Fassung bringen. Das ist nur das allgemeine Wehklagen.«
8
REQUIEM ODER DAS HEILIGE MESSOPFER, WIE ICH ES
NIE ZUVOR GESEHEN HATTE
Hatte ich je eine schönere Kapelle gesehen? Hatte wei-
ßer Marmor je zuvor eine so wunderbare Wirkung erzielt?
Und welchem unerschöpflichen goldenen Quell ent-sprangen die herrlichen Schnörkel und verschlungenen Verzierungen, die hohen Spitzbogenfenster, die von au-
ßen hell beleuchtet wurden, damit die kleinen Rauten aus gefärbtem Glas in ihrer edelsteingleichen Vollkommenheit sichtbar wurden, aus denen die feierlich schlanken und scheinbar frommen Bilder bestanden.
Nur dass es keine frommen Bilder waren.
Ich stand auf der Chorempore hoch über dem Portal, von wo aus man das ganze Kirchenschiff bis hin zum Altar am anderen Ende überblickte. Auch jetzt wurde ich wieder von zwei düsteren fürstlichen Herren eskortiert, die mich in inbrünstiger Pflichterfüllung fest bei den Armen gepackt hielten, damit ich aufrecht stand.
Ich fühlte mich nicht mehr so benommen wie zuvor, dennoch wurde mir noch einmal ein feuchtes Tuch auf Stirn und Augen gedrückt. Das Wasser war kalt, als käme es aus einem Gebirgsbach während der Schneeschmelze.
In meiner Übelkeit, meinem Fieber sah ich alles über-deutlich. Ich sah die Dämonen, die in die blinkenden Fenster eingearbeitet waren, so kunstvoll aus rotem, gol-denem und blauem Glas zusammengefügt wie anderswo die Engel oder Heiligen. Ich sah ihre höhnischen Mienen, mit denen sie nach unten auf die Gemeinde blickten, diese Ungeheuer mit ihren Fledermausflügeln und den Klauenhänden.
Dort unten, rechts und links des breiten Mittelganges, hatte sich der gesamte fürstliche Hofstaat in seiner blutroten Pracht eingefunden und richtete den Blick auf das große, über und über mit Schnitzereien versehene Altargitter mit dem Hochaltar dahinter. In der Nische hinter dem Altar hingen Gemälde, die in der Hölle tanzende Dämonen darstellten. So anmutig bewegten sie sich in den Flammen, als badeten sie in den angenehmsten Strahlen; und über ihnen spannten sich wehende Banner, auf denen in goldenen Lettern die Worte
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