Vittorio
des heiligen Augustin prangten, die mir aus meinem Studium so vertraut waren: dass diese Flammen kein echtes Feuer waren, sondern das Symbol für die Entfernung von Gott, nur hatte man hier das Wort »Entfernung« durch das lateinische Wort für »Freiheit« ersetzt. Und »Freiheit« war auch das Wort, das auf Lateinisch auf den weißen Marmorwänden stand. Es zog sich als Fries unter den beiden Emporen rechts und links im Kirchenschiff hin, die sich auf gleicher Höhe mit der Chorempore befanden, auf der ich meinen Platz hatte. Von dort aus verfolgte ein weiterer Teil des Hofstaates das Schauspiel.
Lichter strahlten bis in die höchsten Spitzen der Decken-bögen.
Und was war das für ein Schauspiel?
Der Hochaltar war in karminrote Draperien mit goldenen Fransen gehüllt, die jedoch nur so weit herabhingen, dass noch das in den weißen Stein gearbeitete Relief zu sehen war - es zeigte munter in der Hölle umherstolzie-rende Wesen. Allerdings könnten mich aus dieser großen Entfernung meine Augen in Bezug auf die Heiterkeit ge-trogen haben.
Was ich jedoch genau sah, waren die dicken Kerzen, die nicht etwa vor einem Kruzifix standen, sondern vor einem riesigen steinernen Standbild Luzifers, des gefallenen Engels. Seine langen Locken glichen Flammen, und auch sein Gewand war eine Flut lodernden Feuers, in Marmor erstarrt. In den erhobenen Händen hielt er die Symbole des Todes, in der Rechten die Sense des grimmen Schnitters und in der anderen das Schwert des Scharf-richters.
Beim Anblick dieses Bildes sog ich scharf die Luft ein!
Ungeheuerlich, es stand genau an der Stelle, wo ich den gekreuzigten Christus erwartet hatte. Und doch, in einer momentanen Verwirrtheit und Aufregung formten sich meine Lippen zu einem Lächeln, und ich hörte, wie ich listig zu mir selbst sagte, dass das Bild des gekreuzigten Gottes an dieser Stelle nicht weniger grotesk gewesen wäre.
Meine Wächter packten mich fester. Hatte ich ge-schwankt?
Aus der Menge neben und hinter mir, die ich bisher gar nicht beachtet hatte, erhob sich auf einmal das dumpfe Grollen von Pauken, drohend langsam, traurig und schön in seiner abgedämpften Schlichtheit, gefolgt vom Chor der tief gestimmten Hörner, die sich mit ihren verschlungenen Tonfolgen mühelos in die lieblichen Klänge einfügten. Dies waren nicht die sich öde wiederholenden Sequenzen der Musik vom Vorabend, sondern ein eindringlicher, wehmütiger, flehender Zusammenklang von Melodien, so tieftraurig, dass er mein Herz mit Schmerz erfüllte, es anrührte und mir fast die Tränen in die Augen trieb.
Ach, was ist das? Was ist das für eine volltönende Musik, die mich einhüllt und in das Kirchenschiff strömt? Perfekt moduliert schallte der Widerhall von dem schimmernden Marmor zurück an die Stelle, wo ich stand und verzückt auf die ferne Gestalt des Luzifers starrte.
Zu seinen Füßen waren Blumen in goldenen und silbernen Schalen arrangiert, nur rote Blumen, rote Rosen, rote Nelken, rote Iris und rote Wildblumen, deren Namen ich nicht kannte. Ein belebend wirkender Altar, reich bedeckt mit allem, was diese leuchtende, kräftige Farbe trug, Luzifers glühende Farbe, die einzige Farbe, die ihm geblieben war, die sich aus seiner unentrinnbaren, untilgbaren Finsternis erheben durfte.
Nun stieg das klingende Lied der Schalmeien auf, die kleine Oboe fiel ein, dann die Panflöte und andere Flö-
teninstrumente, schließlich kam der kräftigere Klang der Messingposaune hinzu, ich glaubte sogar das helle Klingen zu hören, mit dem die Hämmerchen auf die Saiten einer Zimbel schlugen.
Schon allein die Musik mit ihren melodisch verwobenen Motiven, die sich überschnitten, harmonisch miteinander verschlangen und dann wieder trennten, hätte ausge-reicht, mich zu fesseln und meine Gefühle überfließen zu lassen. Sie ließ meinen Atem stocken und beanspruchte meine ganze Aufmerksamkeit. Doch die Statuen der Dä-
monen, die rechts und links von der imposanten Gestalt ihres teuflischen Gebieters aufgereiht waren, sah ich dennoch - wie ähnelten sie den adeligen Herren und Damen an der höfischen Tafel vom Abend zuvor.
Waren das alles Bluttrinker, diese schrecklichen, ausge-mergelten Heiligen aus dem Höllenreich? Sie waren aus hartem, mahagonirot schimmerndem Holz gefertigt, die übermäßig stilisierten Gewänder klebten fast an den dürren Leibern, die Augen waren halb geschlossen, die Münder aufgerissen, und an jeder Oberlippe sah man zwei weiße Fangzähne, wie aus winzigen
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