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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Männern waren darunter, bärtig und speckig, und Jungen meines Alters oder auch älter - sie schlurften umher oder lagerten irgendwo, aber alle waren benommen und wirr. So schauten sie mit flatternden Lidern zu uns empor, hielten inne, als müsste unsere Gegenwart ihnen etwas bedeuten, selbst wenn sie nicht mehr wussten, was. Ich schwankte, und Ursula hielt mich an meinem Arm fest. Als mir die aromatischen Dämpfe in die Nase stiegen, verspürte ich rasenden Hunger. Einen Hunger, wie ich ihn nie zuvor gekannt hatte. Nein, es war Durst, purer Durst auf diese Suppe, als gäbe es für mich nichts anderes als flüssige Nahrung.
    Die beiden hageren, reservierten Männer, die bisher bei uns stehen geblieben waren - die beiden, die mir die Augen verbunden und mich hierher geschleift hatten -, wandten sich plötzlich ab und marschierten mit harten Schritten die Treppe hinab, so dass ihre Absätze auf den steinernen Stufen hallten. Aus dem kunterbunten Haufen drangen einzelne aufgeregte Rufe herauf. Köpfe drehten sich. Schwerfällige Leiber versuchten sich aus dumpfer Apathie hochzurappeln. Die beiden stocksteifen Adels-herren mit ihren fast am Boden schleifenden Ärmeln marschierten Schulter an Schulter wie Blutsverwandte auf den ersten Kessel zu. Ich beobachtete fasziniert, wie trunkene Sterbliche sich aufrafften und auf die rot ge-wandeten Herren zutaumelten. Was die betraf, schienen sie sich in dieser Geheimnistuerei zu sonnen.
    »Was machen sie? Was haben sie vor?« Mir war übel.
    Ich würde gleich umfallen. Und doch, wie herrlich diese Suppe duftete und was für ein Verlangen ich danach hatte! »Ursula«, sagte ich. Aber ich wusste nicht weiter, nachdem ich ihren Namen so inständig ausgesprochen hatte.
    »Ich halte dich fest, mein Liebster. Das ist die Hürde.
    Schau, verstehst du?«
    Durch einen Nebelschleier sah ich die beiden Aristokraten unter den spitzen, dornenbewehrten Ästen der blü-
    henden Orangenbäume hindurchgehen, die voller Früch-te hingen, als ob keines dieser aufgeblähten lethargischen Wesen je Verlangen nach einer frischen, sonnig-saftigen Orange gehabt hätte.
    Die Herren stellten sich rechts und links von dem Kessel auf, streckten beide den rechten Arm aus und schlitzten sich mit einem Messer, das sie in der Linken hielten, das Handgelenk auf, so dass sich ein reicher Blutstrom in den Kessel ergoss. Ein schwacher, erfreuter Aufschrei erhob sich aus den Reihen der demütig um sie versammelten Sterblichen.
    »Ah, das ist verdammenswert! Natürlich, das Blut macht es!«, flüsterte ich. Ich wäre gestürzt, wenn Ursula mich nicht festgehalten hätte. »Das Gebräu wird mit Blut ge-würzt.«
    Einer der Adeligen wandte sich ab, als wäre er von den aufsteigenden Dämpfen und dem Rauch des Feuers an-geekelt, trotzdem ließ er nicht ab, sein Blut zu spenden.
    Dann drehte er sich abrupt, fast ärgerlich auf dem Absatz um und packte mit schnellem Griff einen der dürren, schwachen, weißhäutigen Dämonen im Bauernkittel beim Arm. Er hielt ihn fest und zerrte ihn zu dem Kessel. Der dürre, jämmerliche Dämon bat und winselte darum, losgelassen zu werden, aber im Nu waren seine Handgelenke aufgeschlitzt, und sein Blut floss in einem dicken Strahl in die Brühe, wobei er das knochige Gesicht abwandte.
    »Ah, ihr übertrefft mit euren Höllenkreisen selbst Dante!
    Ist es nicht so?«, sagte ich. Doch es schmerzte mich, Ursula gegenüber einen solchen Ton anzuschlagen. Sie musste mich nun vollends stützen.
    »Sie sind nur Bauern, und sie träumen davon, Herren zu sein, und wenn sie gehorsam sind, könnte das für sie wahr werden.«
    Nun fiel mir ein, dass die dämonischen Krieger, die mich in dieses Schloss gebracht hatten, gewöhnliche Jägers-leute gewesen waren. Wie gut das alles überlegt und or-ganisiert war. Aber sie hier, meine zarte Liebste mit den weichen, hingebungsvollen Armen und dem schimmernden, tränenbefleckten Gesicht, die war eine echte Dame, nicht wahr?
    »Vittorio, ich wünsche mir so sehr, dass du am Leben bleibst.«
    »Wirklich, Liebste?«, sagte ich. Ich hatte die Arme um sie gelegt, denn ich konnte nicht länger ohne Hilfe stehen.
    Mein Augenlicht wurde schwächer. Doch wenn ich den Kopf an ihre Schulter lehnte und meine Augen auf die Menge dort unten richtete, sah ich immerhin noch die Leute, die sich um den Kessel drängten und ihre Schüsseln in die Suppe tauchten, möglichst an der Stelle, wo das Blut hineingeflossen war, und dann pusteten sie auf die heiße Flüssigkeit, um

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