Vittorio
Elfenbeinstückchen eingefügt, um nur keinen Zweifel an der Bestim-mung der Ungeheuer aufkommen zu lassen.
Welch eine Kathedrale des Schreckens! Ich versuchte, den Kopf abzuwenden und die Augen zu schließen, und doch schlug mich diese ganze Ungeheuerlichkeit in ihren Bann. Erbärmliche, formlose Gedanken schwebten un-ausgesprochen auf meinen Lippen.
Der Hörnerklang erstarb, die Hirteninstrumente schwiegen still. Ach, verlasst mich nicht, ihr lieblichen Melodien.
Lasst mich nicht allein. Statt ihrer erhob sich jedoch ein Chor lieblicher, weicher Tenorstimmen. Sie sangen lateinische Worte, denen ich nicht folgen konnte, eine Toten-klage, ein Gesang über die Unbeständigkeit aller Dinge, und in herrlichem Wohlklang fielen männliche und weibliche Sopranstimmen ein, Bässe und Baritons, die viel-stimmig und kraftvoll darauf antworteten:
»Ich gehe nun ein zu meinem Herrn, denn Er hat diesen Geschöpfen der Finsternis erlaubt, mein Flehen zu erhö-
ren ...«
Worte wie aus einem Albtraum!
Wieder erhob sich der klanggewaltige Stimmenchor, um die Tenöre zu unterstützen:
»Die Werkzeuge des Todes warten auf mich, sie spenden den warmen, inbrünstigen Kuss, und in ihren Leib werden sie nach Gottes Willen mein Blut aufnehmen, meine Verzückung und den Aufstieg meiner Seele werden sie durch ihren eigenen Aufstieg erleben, um in ihrem finsteren Dienst sowohl Himmel als auch Hölle zu erfahren.«
Dann erklang die feierliche Melodie der Rohrflöte.
Nun schritt unter den hoch aufjubelnden, glanzvollen Klängen des Chors ein Strom priesterlicher Gestalten ins Allerheiligste der Kapelle.
Da war der Fürst Florian, er trug ein reich geschmücktes rotes Messgewand, als wäre er der Bischof von Florenz in Person, nur dass das christliche Kreuz auf seiner Robe schamlos zu Ehren des Satans verkehrt herum abgebildet war. Auf seinem ungeschorenen Kopf saß eine edel-steinverzierte goldene Krone, als wäre er sowohl ein fränkischer König als auch der Diener des Herrn der Finsternis.
Die durchdringenden kräftigen Töne der Hörner über-nahmen nun die Führung, und die Musik wandelte sich in einen Marschrhythmus. Unterschwellig grummelte der Paukenschlag, gedämpft, aber stetig.
Florian nahm seinen Platz vor dem Altar ein und wandte das Gesicht der Gemeinde zu. Neben ihm stand die zart-gliedrige Ursula. Das volle Haar hing lose über ihre Schultern herab, doch war sie, einer Maria Magdalena gleich, in einen langen scharlachfarbenen Schleier ge-hüllt, der bis über den Saum ihres Schleppenkleides fiel.
Ihr erhobenes Gesicht zeigte in meine Richtung, und ich sah trotz der großen Entfernung, dass ihre wie zum Gebet zusammengelegten Hände zitterten.
Auf der anderen Seite dieses Obersten Priesters stand der kahlköpfige ältere Mann, ein weiterer Hilfspriester; sein Messgewand hatte Spitzenärmel, die zusätzlich dicht mit Stickerei versehen waren. Von beiden Seiten strömten Gehilfen herbei, hoch gewachsene Teufelsjünger mit den bekannten elfenbeinweißen Gesichtszügen; sie trugen die einfachen Überwürfe von Messdienern und stellten sich neben den anderen vor dem langen Altargitter auf.
Wieder rauschte der herrliche Chorgesang auf, Falsett-stimmen mischten sich mit echten Sopranen und den vib-rierenden Bässen der männlichen Sänger, deren Klang ebenso an dunkle Wälder denken ließ wie die Holzblas-instrumente, und unterlegt war dieses ganze Lautgewebe mit den antreibenden, herausfordernden Tönen der Blechbläser.
Was hatten sie vor? Wie lauteten die Worte des Chorals, den die Tenöre da anstimmten? Und wie war die Antwort, die von den unmittelbar neben mir erklingenden Stimmen gegeben wurde? Unzusammenhängende lateinische Worte, die nur undeutlich an mein Ohr drangen:
»Herr, ich betrete das Tal des Todes, Herr, ich erreiche das Ende allen Kummers, Herr, nach Deinem Willen schenke ich denen Leben, die nutzlos in der Hölle säßen, wäre nicht Dein göttlicher Plan.«
Meine Seele lehnte sich auf. Wie verhasst mir das alles war! Und doch konnte ich meinen Blick nicht von dem Schauspiel dort unten abwenden. Meine Augen überflo-gen den Kirchenraum, und nun bemerkte ich auch die Piedestale zwischen den Spitzbogenfenstern, auf denen hagere, mit Fangzähnen versehene Dämonen emporrag-ten, und überall glühten auf unzähligen Gestellen klei-nere Kerzen.
Abermals dröhnte die Musik auf, und die Tenöre schmetterten feierlich:
»Bringt das Becken herbei, dass die, die sich uns opfern, gereinigt werden.«
Und
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