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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Innern, »sende meine Racheengel, gib ihnen Dein feuriges Schwert! Gott, dies kann man nicht hinnehmen!«
    Alle Opfer standen nun nackt und zitternd an dem Altargitter aufgereiht, und vor dem hellen Marmor und den bleichen Priestern flammte und glühte ihr menschliches Fleisch.
    Die Kerzen flackerten um den mächtigen Luzifer mit seinen hautbespannten Flügeln, der über das Geschehen herrschte. Fürst Florian trat vor und nahm das erste Kom-munionkind in die Arme, dann beugte er sich nieder, um zu trinken. Die Trommeln dröhnten in heftigem, angeneh-mem Takt, die Chorstimmen verschmolzen miteinander und schwangen sich himmelwärts. Doch zwischen diesen sich verzweigenden weißen Säulen, diesen steilen Bögen gab es keinen Himmel. Hier gab es nichts als Tod.
    Der gesamte Hofstaat stellte sich nun in zwei Reihen auf und marschierte schweigend vor, um hinter das Altargitter zu treten. Dort konnte jeder eines der Opfer, die so hilflos dastanden, entgegennehmen, und nun wählten Herren und Damen nach ihren Wünschen. Einige teilten sich ein Opfer, oder man reichte es von einem zum andern weiter, und so ging es fort und fort mit dieser Farce, dieser ekligen, räuberischen Kommunion.

    Nur Ursula regte sich nicht.
    Die Opfer hatten ihr Leben bald ausgehaucht. Einige waren schon tot. Doch nirgends sank eines zu Boden; ihre schlaffen, ausgesaugten Leiber wurden von den dämonischen Messdienern in aller Stille und geschickt aufgefangen und weggeschafft.
    Dann wurden neue Opfer gewaschen und zu dem Gitter gebracht. Es nahm kein Ende.
    Fürst Florian trank wieder und wieder, ein Kind nach dem andern wurde ihm gereicht, seine schlanken Finger packten den zarten Nacken und hielten ihn fest, während er seine Lippen darauf senkte.
    Ich hätte gerne gewusst, welche lateinischen Worte er dabei sprach.
    Nach und nach schlüpften die Mitglieder des Hofes aus dem Allerheiligsten, schritten die Seitengänge hinab und nahmen ihren alten Platz wieder ein. Sie waren gesättigt.
    Nun konnte man beobachten, wie die rote Farbe des Blutes ihren totenbleichen Teint durchdrang, und dank meiner verschwommenen Wahrnehmung und meines von der lieblichen Musik ganz erfüllten Kopfes schien es mir, als wären sie alle menschlich, menschlich, wenn auch nur für eine kleine Weile.
    »Ja«, sagte der Fürst, und seine Stimme reichte weich und sicher über die ganze Länge des Kirchenschiffes bis an mein Ohr. »Ja, so ist es, menschlich, für diese eine kurze Spanne, mit dem Blut der Lebenden, das in uns Fleisch geworden ist, sind wir das, junger Prinz . Du hast es verstanden.«
    »Ah, aber, mein Herr«, flüsterte ich vor Erschöpfung, »ich verstehe es zwar, aber ich verzeihe es nicht.«
    Ein Moment des Schweigens senkte sich nieder. Dann stimmten die Tenöre an: »Die Zeit ist reif, und die mitter-nächtliche Stunde ist noch nicht beendet.«

    Die Hände, die mich fest und sicher hielten, drehten mich nun zur Seite. Ich wurde wie durch einen Zauber über eine Wendeltreppe aus weißem Marmor von der Empore nach unten befördert.
    Als ich mich, immer noch von ihnen gestützt, aufrappelte und den Mittelgang entlangblickte, sah ich, dass nur das Taufbecken dort stand, alle Opfer waren fort.
    Doch man hatte ein mächtiges Kreuz in die Halle gebracht und es kopfüber neben dem Altar zum Altargitter hin abgestellt.
    Fürst Florian hielt fünf große eiserne Nägel in die Höhe, damit ich sie sah, und winkte mich zu sich.
    Das Kreuz wurde so schnell aufgerichtet, als wäre es nicht das erste Mal. Es bestand aus kostbarem Hartholz und war dick, schwer und glatt gehobelt, doch wies es schon Nagelspuren auf und auch Spuren von Blut. Das Ende des Kreuzes fügte sich genau dort an das Gitter, wo es an den marmornen Vorsprung stieß, so dass derjenige, der gekreuzigt werden sollte, für alle Götzendiener sichtbar drei Fuß über dem Boden hing.
    »Götzendiener! Ihr widerliches Volk!«, sagte ich verächtlich lachend. Gott und allen Engeln sei Dank, dass die Augen meiner Eltern schon ins himmlische Licht schauten und diese rohe Erniedrigung nicht sehen mussten.
    Der Alte hielt mir zwei goldene Kelche in seinen ausgestreckten Händen entgegen.
    Ich wusste, was das bedeutete. Sie sollten das Blut auffangen, das aus den Nagelwunden fließen würde.
    Er neigte den Kopf. Man zwang mich den Mittelgang entlang. Die Statue des Luzifers, die hinter der in päpstlicher Pracht glitzernden Gestalt des Fürsten aufragte, wuchs vor meinen Augen ins Riesenhafte. Meine Füße

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