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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Wahnsinn verfallen«, flüsterte Godric mir ins Ohr. »Wahnsinn bis ans Ende deiner Ta-ge, dabei hättest du - ja, du - einer von uns sein können.«
    »Ja, einer von uns«, kam Florians sanftes, gelassenes Flüstern.
    »Was warst du für ein Dummkopf«, sagte Godric. »Du hättest unsterblich sein können.«
    »Für immer einer von uns, unsterblich, unbesiegbar, um hier in deiner ganzen Pracht zu herrschen.«
    »Unsterblichkeit oder Tod«, sagte Godric, »das wäre eine königliche Wahl gewesen! Du jedoch wirst wahnsinnig und von allen verhöhnt in der Welt umherwandern.«
    »Ja, wahnsinnig und verhöhnt«, drang eine kindische Stimme an mein Ohr. Und eine weitere sagte: »Wahnsinnig und verhöhnt.«
    »Wahnsinnig«, wiederholte Florian.
    Doch der Chor sang weiter und löschte jeden Stachel aus, der ihren Worten anhaftete, seine jauchzende Melodie nahm in meinem Halbschlaf ein immer stärkeres Tre-molo an.
    »Ein Idiot, der, zum Gespött geworden, durch die Welt streift«, sagte Godric.
    Wie geblendet, in die Geschmeidigkeit des Schleiers eingeschlossen und von dem Getränk berauscht, konnte ich ihnen nicht antworten. Ich glaube, ich lächelte. Ihre Worte waren zu sinnlos vermischt mit den vollen, beruhigenden Klängen des Chores. Und dumm, wie sie waren, war ihnen nicht klar, dass das, was sie sagten, schlicht keine Bedeutung hatte.
    »Und du hättest unser junger Fürst sein können.« War das Florian an meiner Seite? Der kühle, furchtlose Florian. »Wir hätten dich geliebt, wie sie dich liebt.«
    »Ein junger Fürst«, sagte Godric, »der hier mit uns auf ewig herrschen könnte.«
    »So werde Hofnarr für Schwarzkünstler und alte Weiber«, sagte Florian, traurig, ernst.
    »Ja«, wieder diese kindische Stimme, »dumm von dir, uns zu verlassen.«
    Wie wundersam doch diese Hymnen waren, dass sie die Worte in nichts als liebliche kontrapunktische Silben verwandelte.
    Ich glaube, ich spürte, dass Ursula mich durch die Seide des Schleiers küsste. Ich glaube es. Mir schien, dass sie in leisestem Flüstern ganz unzeremoniell und sehr schlicht sagte: »Mein Liebster.« Und daraus sprach ihr Triumph und ihr Lebewohl.
    Ich sank und sank und sank, bis der tiefste, gütigste Schlaf mich umfing, den Gott nur schenken kann. Die Melodien schenkten meinem Leib seine Gestalt, meinen Lungen die Luft zum Atmen, als alle anderen Sinne mich verlassen hatten.

    9

    ENGELSSTIMMEN KLANGEN IN DER HÖHE

    Es goss in Strömen. Nein, der Regen hatte aufgehört.
    Aber sie konnten mich immer noch nicht verstehen. Ich war von Männern umringt. Wir waren in der Nähe von Fra' Filippos Werkstatt. Ich erkannte die Straße. Ich war doch mit meinem Vater hier gewesen, vor knapp einem Jahr.
    »Sprich doch langsamer! Agrrh ... bwb ... man kann es einfach nicht verstehen!«
    »Hör doch, wir wollen dir helfen«, sagte ein anderer.
    »Sag, wie heißt dein Vater? Sprich langsam.«
    Sie schüttelten die Köpfe. Ich dachte, ich spräche ganz vernünftig, ich konnte es doch verstehen, Lorenzo di Raniari, warum konnten sie es nicht deutlich hören? Und ich war doch sein Sohn, Vittorio di Raniari. Aber ich spürte, dass meine Lippen geschwollen waren und glühten. Und mir war klar, dass ich durch die Nässe ganz verdreckt war.
    »Hört, bringt mich in Fra' Filippos Werkstatt. Ich kenne die Maler dort«, sagte ich. Mein berühmter Maler, mein leidenschaftlicher, gequälter Maler, seine Lehrlinge würden mich erkennen. Er nicht, aber seine Gehilfen, die damals gesehen hatten, wie ich über seinem Werk in Tränen ausgebrochen war. Und dann, dann würden mich diese Männer zum Haus Cosimos bringen, in die Via del Largo.
    »Fiii... fiii??«, sagten sie, indem sie meine ungeschickten Sprechversuche nachmachten. Es hatte wieder nicht ge-klappt.
    Ich hielt meinen Blick auf die Werkstatt gerichtet. Ich taumelte und wäre beinahe gestürzt. Das hier waren ehrliche Männer. Ich hatte immer noch die Satteltasche über die Schulter geschlungen, und mein Schwert schlug klappernd gegen meine Hüfte, so dass es mich fast aus dem Gleichgewicht brachte. Die hohen Mauern von Florenz schienen näher zu kommen, beinahe wäre ich auf die Steine geschlagen.
    »Cosimo!«, brüllte ich mit voller Lautstärke.
    »Wir können dich in diesem Zustand nicht zu Cosimo bringen. Er wird dich nicht empfangen.«
    »Ah, ihr habt mich verstanden, ihr könnt mich hören!«
    Aber der Mann spitzte nun die Ohren. Ein ehrlicher Händler, sein einfacher grüner Anzug bis auf die Haut

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