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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Trotz der Gefahr, dass ich mich auf unserem Weg über den Gang möglicherweise mitten auf den makellosen Boden übergab, hielt der Mönch inne, um mir einen Blick durch die ge-
    öffnete Tür zu gönnen, wo in einem lang gestreckten Raum voller Bücher viele Mönche bei der Arbeit waren.
    Was ich jedoch ebenfalls sah, war das von Michelozzo entworfene Deckengewölbe, das nicht steil aufstrebend emporragte, sondern sich sanft über die Köpfe der Mönche legte und Licht und Luft um sie aufsteigen ließ.
    Offenbar hatte ich Erscheinungen. Ich sah Gestalten doppelt und dreifach, wo nur eine sein konnte, und in einem kurzen Aufblitzen sah ich ein Durcheinander von Engelsflügeln, mir zugewandte schmale Gesichter, die mich hinter einem Schleier übernatürlicher Heimlichkeit betrachteten.
    »Seht Ihr?«, war alles, was ich sagen konnte. Ich musste in diese Bibliothek, ich musste Texte finden, in denen diese Dämonen erklärt würden. Ja, ich hatte noch nicht aufgegeben! Oh, nein, noch war ich kein brabbelnder Idiot. Gottes Engel persönlich standen mir zur Seite. Ich würde Ramiel und Setheus mit in die Bibliothek nehmen und ihnen die Schriften zeigen.
    Wir wissen Bescheid, Vittorio, befreie deinen Geist von diesen Bildern, wir sehen sie ja.
    »Wo seid ihr?«, rief ich.
    »Still«, befahl der Mönch.
    »Aber werdet ihr mir behilflich sein, dorthin zurückzuge-hen und sie zu töten?«
    »Was brabbelst du da?«, sagten die Klosterbrüder.
    Cosimo war der Schirmherr dieser Bibliothek. Als der alte Niccolo de' Niccoli starb, der berühmt für seine Bücher-sammlung gewesen war und mit dem ich in Vespasianos Buchladen oft gesprochen hatte, da hatte Cosimo dessen religiöse Schriften und Bücher allesamt diesem Kloster hier gespendet. Und deshalb würde ich sie hier finden, in dieser Bibliothek, und ich würde bei dem heiligen Augustin oder bei Aquin Beweise dafür finden, was das für Teufel waren, mit denen ich gekämpft hatte.
    Nein, ich war nicht wahnsinnig, ich hatte noch nicht aufgegeben. Ich war kein sabbernder Idiot. Wenn nur die Sonne, die selbst in die hoch gelegenen kleinen Fenster dieses luftigen Plätzchens drang, mir nicht mehr die Aug-
    äpfel kochen und die Hände versengen würde.
    »Ruhig, ganz ruhig«, murmelte der riesenhafte Mönch, immer noch lächelnd. »Du brabbelst wie ein Baby. Aggel, gaggel, grrrr, hörst du? Nun pass auf, in der Bibliothek ist viel zu tun. Sie ist heute für die Bürger geöffnet. Alle sind sehr beschäftigt.«
    Er ging an der Bibliothek vorbei und brachte mich in eine Zelle, die nur ein paar Schritte entfernt lag. »Da unten
    ...«, fuhr er fort, als wollte er mit seinen Worten ein unruhiges Baby beschwichtigen, »... nur ein paar Schritte von uns entfernt, ist die Zelle des Priors, und rate, wer just in dieser Minute dort ist. Der Erzbischof!«
    »Antonino«, flüsterte ich.
    »Ja, ja, du hast es genau richtig gesagt. Einst unser Antonino. Nun, er ist hier, und rate, warum.«
    Ich war zu erschöpft, um zu antworten. Jetzt scharten sich die anderen Mönche um mich. Sie wuschen mich mit kühlen Tüchern und strichen mir das Haar zurück.
    Sie hatten mich in ein großes, sauberes Gemach gebracht. Ach, wenn nur die Sonne nicht mehr schiene!
    Was hatten diese Dämonen mit mir gemacht? Hatten sie mich schon zur Hälfte in einen Dämon verwandelt? Konnte ich es wagen, um einen Spiegel zu bitten?
    Als man mich erst einmal auf ein weich gepolstertes Bett gesetzt hatte, verlor ich die Kontrolle über den ganzen Körper, und mir wurde abermals übel. Die Mönche hielten mir ein silbernes Becken vor.
    Gleißend flimmerte die Sonne auf einem Fresco und ließ die abgebildeten Figuren aufleuchten, doch ich war nicht in der Lage, sie in diesem Licht, das mir solche Schmerzen bereitete, zu betrachten. Es kam mir so vor, als wä-
    ren noch mehr Wesen in dieser Zelle. Waren es Engel?
    Ich sah durchscheinende Wesen, die dahintrieben, sich rührten, aber ich konnte die Umrisse nicht klar erkennen.
    Nur das Fresco mit seinen in die Mauer eingebrannten Farben schien mir fest, beständig, real zu sein.
    »Werden sich meine Augen nie mehr erholen?«, fragte ich. Ich glaubte, ich hätte einen Blick auf eine engelhafte Gestalt im Eingang der Zelle erhascht, aber es war weder Setheus noch Ramiel. Hatte das Wesen etwa Fledermausflügel? Wie die Dämonen? Ich fuhr erschreckt auf.
    Aber es war fort. Geraschel, Flüstern. Wir wissen es.
    »Wo sind meine Engel?«, rief ich weinend. Ich sprach den Namen meines

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