Vittorio
vielleicht ein Mönch, dieser Fra' Filippo; wenn er nicht gerade hinter den Weibern her ist, dann ist er in eine Rauferei verwickelt.«
Wir hatten San Marco erreicht und standen auf der Piazza direkt vor den Toren des Klosters, die, wie es überall in Florenz üblich war, auf gleicher Ebene mit der Straße lagen - als würde der Arno nie über die Ufer treten! Und ich war überglücklich, diesen schützenden Hort zu sehen. Aber in meinem Geist tobte es. Jede Erinnerung an Dämonen und grausame Morde war von der schrecklichen Vorstellung überdeckt, dass der Künstler, den ich mehr als alles andere schätzte, auf die Streckbank gespannt worden war wie ein gewöhnlicher Schurke.
»Er ... nun, er benimmt sich manchmal wie ein gewöhnlicher ... Schurke!«, murmelte Ramiel.
»Er wird aus der Sache rauskommen«, sagte der Alte,
»er zahlt eben einfach eine Strafe.« Er klingelte an der Klosterpforte. Dabei tätschelte er mich mit seiner müden, trockenen Hand. »Hör auf zu weinen, Kind, hör auf. Filippo ist nun einmal ein Ärgernis, das weiß man doch. Es könnte gar nicht schaden, wenn er ein bisschen von der Heiligkeit des Fra' Giovanni an sich hätte, nur ein bisschen!«
Fra' Giovanni. Natürlich, damit meinten sie den großen Fra' Angelico, den Maler, vor dessen Werken man in zu-künftigen Jahrhunderten vor Ehrfurcht erstarrt niedersin-ken würde. Und hier, in diesem Kloster, da lebte und arbeitete er, denn er schmückte im Auftrag Cosimos die Zellen der Mönche mit seinen Gemälden aus.
Was sollte ich sagen? »Ja, ja, Fra' Giovanni, aber dem ...
dem ... gehört meine Liebe nicht.« Doch, ich liebte ihn schon, ich verehrte ihn und seine wunderbaren Arbeiten, aber das konnte man nicht mit der tiefen Liebe vergleichen, die ich für Filippo hegte, den ich doch nur einmal gesehen hatte. Wie konnte man so etwas Seltsames er-klären?
Plötzlich überfiel mich eine scheußliche Übelkeit. Ich wandte mich schnell von meinen Begleitern ab, und dann ergoss sich auch schon mein Mageninhalt auf die Straße
- widerliche Überreste dessen, was jene Teufelsbrut mir eingeflößt hatte, ein ekliges, halb verdautes Gemisch aus Blut und Wein, das sich stinkend auf der Straße ausbreitete und zwischen den Pflastersteinen versickerte.
In diesem Augenblick wurde mir aufs Neue das ganze grausame Geschehen am Hofe vom Blutroten Gral bewusst. Hoffnungslosigkeit nahm Besitz von mir, in meinen Ohren tönte das Flüstern der Dämonen, wahnsinnig, verhöhnt, das hatten sie gesagt, und Zweifel stiegen in mir auf, Zweifel an allem - an dem, was ich gesehen hatte, an mir selbst, an dem, was mir gerade erst widerfahren war. In einem Traumwald ritten mein Vater und ich und sprachen über Filippos Malerei; ich war ein eifriger Student, ein junger Fürst, und die Welt lag mir zu Füßen, und meine Nase sog den heimeligen Geruch der Pferde ein, der sich mit dem Duft der Wälder mischte.
Wahnsinnig, verhöhnt, obwohl du unsterblich hättest sein können.
Nachdem ich mich wieder aufgerichtet hatte, lehnte ich mich gegen die Kostermauern. Der blaue Himmel war so grell, dass ich die Augen schließen musste, doch genoss ich die Wärme. Während mein Magen sich langsam beruhigte, versuchte ich, ganz starr geradeaus zu sehen.
Ich kämpfte gegen den Schmerz, den das helle Licht mir verursachte, denn eigentlich sollte ich das Licht doch lieben, mich auf seine Wohltat verlassen können. Das Antlitz des Engels Setheus schob sich vor meine Augen, so dicht, dass es mein Gesichtsfeld ausfüllte. Er betrachtete mich mit tiefer Anteilnahme.
»Lieber Gott, du bist ja wirklich hier«, hauchte ich.
»Ja«, antwortete er, »ich hatte es dir versprochen.«
»Du verlässt mich doch nicht, oder?«, fragte ich.
»Nein«, bestätigte er.
Über seine Schulter hinweg nahm Ramiel mich in Au-genschein, als wenn er mich nun zum ersten Mal gründlich, mit Muße und Anteilnahme, begutachten könnte.
Sein kürzeres, locker fallendes Haar ließ ihn jünger erscheinen, obwohl eine solche Unterscheidung eigentlich bedeutungslos war.
»Ganz bedeutungslos«, flüsterte er, dabei lächelte auch er, zum ersten Mal. Dann sagte er:
»Tu, was diese Männer dir sagen. Lass dich ins Kloster bringen, und dann musst du schlafen, wie es die Natur von dir verlangt, und wenn du wieder aufwachst, werden wir bei dir sein.«
»Aber es ist so grausam, die ganze Geschichte ist grauenvoll«, flüsterte ich. »Solche Gräuel hat Filippo nie gemalt.«
»Wir sind nichts Gemaltes«, sagte
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