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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Setheus. »Was Gott für uns vorgesehen hat, werden wir gemeinsam heraus-finden, du und Ramiel und ich. Und nun musst du hineingehen. Da kommen die Mönche. Wir übergeben dich ihrer Pflege, und wenn du erwachst, werden wir an deiner Seite sein.«
    »Wie in dem Gebet«, flüsterte ich.
    »Oh, ja, genau so«, sagte Ramiel. Er hob die Hand. Ich sah den Schatten seiner Hand und spürte die seidige Be-rührung seiner Finger, als er mir die Augen schloss.

    10

    IN DEM ICH MIT DEN
    UNSCHULDSVOLLEN, MÄCHTIGEN SÖHNEN GOTTES
    EIN GESPRÄCH FÜHRE

    Ja, ich schlief, und zwar sehr tief, aber erst eine ganze Zeit später. Zunächst einmal hatte ich nur verschwommene, traumgleiche Eindrücke von einer wundersam be-hüteten Umgebung.
    Es hätte in ganz Florenz keinen besseren Ort für mich geben können - außer vielleicht das Haus Cosimos - als das Dominikanerkloster San Marco.
    Nun kenne ich in Florenz eine Menge hervorragender Bauwerke und solche Herrlichkeiten, dass ich mir selbst damals, als Knabe, die ganzen Kostbarkeiten gar nicht merken konnte. Aber nirgendwo gab es ein friedvolleres Kloster als San Marco, das vor nicht allzu langer Zeit erst von dem Künstler Michelozzo, einem höchst demütigen und anständigen Mann, auf Cosimo des Älteren Behuf hin renoviert worden war. Es hatte eine lange, ehrwürdige Geschichte, aber erst seit kurzem war es den Dominikanern übergeben worden, die bestimmte Auflagen er-füllen mussten wie sonst kein Kloster. Ganz Florenz wusste, dass Cosimo ein ganzes Vermögen über San Marco ausgeschüttet hatte, vielleicht als Wiedergutma-chung für den Geldsegen, an den er durch Wucherei gekommen war, denn als Geldverleiher nahm er natürlich Zinsen, die sicher manchmal an Wucher grenzten; da wir Geld in seine Bank gesteckt hatten, waren wir, so gesehen, auch Wucherer. Wie immer der Fall lag, Cosimo, unser capo, unser Oberhaupt, hatte dieses Kloster geliebt und es mit vielen Schätzen ausgestattet, und der größte davon bestand sicherlich in den wunderbar kon-struierten neuen Gebäuden.
    Cosimos Kritiker, die ewig Jammernden, die selbst nie etwas Großes zu Stande bringen, die, denen alles verdächtig ist, was sich nicht in einem permanenten Zustand des Zerfalls befindet, sagten allerdings über ihn: »Selbst auf dem Abtritt der Mönche lässt er noch sein Wappen anbringen!«
    Sein Wappen ist übrigens ein Schild mit fünf vorstehen-den Rundungen, deren Bedeutung man sehr unterschiedlich interpretiert, aber was seine Feinde mit der Bemerkung eigentlich sagen wollten, war: Cosimo habe seine Eier auf dem Abtritt der Mönche ausgestellt. Ha, was nun? Seine Feinde wären wahrscheinlich froh gewesen, solche Abtritte zu haben oder solche Eier.
    Es wäre von seinen Gegnern viel klüger gewesen, darauf hinzuweisen, dass Cosimo häufig mehrere Tage, in Me-ditation und Gebet versunken, in dem Kloster verbrachte und dass der frühere Prior des Klosters, Fra' Antonino, ein guter Freund und Ratgeber Cosimos, nun Erzbischof von Florenz war.
    So viel zu den Ignoranten, die selbst heute noch, fünfhundert Jahre später, Lügen über Cosimo verbreiten.
    Als ich die Schwelle überschritt, dachte ich: Was um Himmels willen soll ich den Leuten hier in diesem Haus Gottes erzählen?
    Der Gedanke war noch kaum meinem schläfrigen und, ich fürchte, drogenbetäubten Mund entsprungen, da vernahm ich Ramiels Lachen an meinem Ohr. Ich versuchte zu sehen, ob er an meiner Seite war. Aber ich schluchzte wieder, und mir war übel und schwindelig, und ich merkte kaum etwas, außer dass wir eine wunderbar stille, heitere Klosteranlage betreten hatten.
    Die Sonne brannte mir so heftig in den Augen, dass ich nicht in der Lage war, Gott für die Schönheit des grünen Gartenquadrates im Zentrum dieser Anlage zu danken, aber ich nahm die niedrigen runden Bogengänge, die von Michelozzo stammten, sehr deutlich und voller Entzücken wahr, diese Bögen, die sich so weich und blass und de-mütig über mir wölbten.
    Und die gelassene Ruhe, die allein schon die Säulen mit ihren kleinen eingerollten ionischen Kapitellen hervorriefen, verstärkte das Gefühl noch, sicher und friedvoll untergebracht zu sein. Michelozzo besaß die große Gabe, perfekte Proportionen zu schaffen. Er brach mit seinem Baustil die Räume auf, öffnete und weitete sie. Und diese weiten, geräumigen Innenhöfe waren sein Markenzei-chen.
    Nichts könnte die Erinnerung an die hochragenden, dolchscharfen gotischen Spitzbögen in mir auslöschen, an diese

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