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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Vaters und meines Großvaters vor mich hin, und aller di Raniari, an die ich mich erinnern konnte.
    »Schhhh«, machte ein junger Mönch, »man hat Cosimo gesagt, dass du hier bist. Aber heute ist ein schrecklicher Tag. Wir können uns an deinen Vater erinnern. Nun komm, wir wollen dir diese schmutzigen Kleider ausziehen.«
    In meinem Kopf verschwamm alles. Das Gemach war verschwunden. Trunkener Schlaf, ein Blick auf sie, meine Retterin Ursula. Sie lief über die blühenden Wiesen. Wer verfolgte sie, wer war das? Wer vertrieb sie aus dem nickenden, wogenden Blumenmeer? Purpurne Iris brachen unter ihren Füßen. Sie drehte sich um. Nein, Ursula, nein! Dreh dich nicht um. Siehst du nicht das Flammen-schwert?
    Als ich erwachte, saß ich in einem warmen Bad. War das das verfluchte Taufbecken? Nein. Ich sah das Fresco, verschwommen erkannte ich die heiligen Gestalten, dann deutlicher die echten, lebendigen Klosterbrüder, die auf dem Steinboden knieten, ihre weiten Ärmel aufgerollt hatten und mich mit dem parfümierten Wasser wuschen.
    »Ah, Francesco Sforza ...« Sie unterhielten sich auf Lateinisch. »Mailand zu stürmen und das Herzogtum in Besitz zu nehmen! Als ob Cosimo nicht schon ohne Sforza genug Ärger hätte.«
    »Tatsächlich? Hat er Mailand eingenommen?«, fragte ich. »Was hast du gesagt? Ja, mein Sohn, so ist es. Er hat den Frieden gebrochen. Und deine ganze Familie, deine armen Verwandten, alle von Freibeutern ermordet!
    Glaub nur nicht, sie werden ungestraft bleiben, diese verdammten Venezianer, die sich hier wie die Wilden aufführen ...«
    »Nein, nicht! Ihr müsst es Cosimo sagen! Es hatte mit dem Krieg nichts zu tun, was meiner Familie widerfahren ist. Das waren keine menschlichen Wesen ...«
    »Still, Kind.«
    Züchtige Hände ließen das Wasser aus einem Schwamm über meine Schultern rinnen, während ich erschöpft an dem warmen Metall der Wanne lehnte.
    »... di Raniari, sie waren immer treu«, sagte einer der Mönche. »Und dein Bruder sollte schon bald hier bei uns seine Studien aufnehmen, dein lieber Bruder Matteo ...«
    Ich stieß einen entsetzlichen Schrei aus. Eine freundliche Hand verschloss mir den Mund.
    »Sforza wird sie eigenhändig bestrafen. Er will das Land von solchen Schurken befreien.«
    Ich weinte, ich konnte gar nicht mehr aufhören. Niemand verstand mich. Keiner wollte mir zuhören. Die Mönche stellten mich auf die Füße und zogen mir ein langes, bequemes Leinengewand an. Es kam mir vor, als würde ich für eine Hinrichtung zurechtgemacht, aber diese Gefahr war schon an mir vorübergegangen.
    »Ich bin nicht wahnsinnig!«, sagte ich deutlich.
    »Nein, natürlich nicht, der Kummer hat dich verwirrt.«
    »Ihr versteht, was ich sage!«
    »Du bist müde.«
    »Dein Bett ist schön weich, wir haben es extra für dich herbringen lassen. Nun sei ruhig, lass die Fantasien.«
    »Dämonen haben es getan«, flüsterte ich. »Es waren keine Söldner.«
    »Ich weiß, mein Sohn, ich weiß. Krieg ist etwas Schreckliches. Krieg ist Teufelswerk!«
    Aber es hatte nichts mit dem Krieg zu tun gehabt! Hört mir doch endlich zu!

    Pst, ich bin's, Ramiel, direkt neben dir; sagte ich dir nicht, dass du schlafen sollst? Wir haben deine Gedanken und deine Worte gehört!

    Ich legte mich bäuchlings lang ausgestreckt auf das Bett.
    Die Mönche kämmten und trockneten mir das Haar. Es war so lang geworden! Unfrisiertes Haar, wie der Landadel es trug. Aber es tat so unsäglich gut, gebadet und herrenmäßig sauber zu sein.
    »Ist das Kerzenlicht? Ist die Sonne untergegangen?«, fragte ich.
    »Ja«, antwortete der Mönch, der neben mir saß. »Du hast geschlafen.«
    »Kann ich mehr Kerzen bekommen?«
    »Sicher, ich bringe sie gleich.«
    Ich lag im Dunkeln. Ich blinzelte und versuchte, die Worte für ein Ave zusammenzubringen. In der Tür erschienen Lichter, sechs oder sieben auf einmal, und jedes bildete ein perfekt geformtes Flämmchen; als der Mönch näher kam, flackerten sie leise. Ich sah ihn ganz klar, als er niederkniete, um den Kandelaber neben mein Bett zu stellen. Er war lang und dünn wie ein junger Baum, und seine Kutte hing an ihm herab wie die Zweige an einer Trauerweide. Wie sauber geschrubbt seine Hände waren! »Du hast eine besondere Zelle bekommen. Und Cosimo hat Leute ausgeschickt, deine Verwandten zu beerdigen.«
    »Gott sei Dank dafür«, sagte ich.
    »Ja.«
    Also konnte ich wieder ordentlich sprechen!
    »Da unten reden sie immer noch, dabei ist es schon spät«, sagte der Mönch.

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