Vittorio
über den glänzenden, makellosen Boden.
Ich stellte mich vor das Wandgemälde. Mir war weder schwindelig noch übel, noch war ich unsicher auf den Füßen. Ich war wieder der Alte.
Fra' Giovanni musste wirklich eine unschuldige, unbeschwerte Seele gewesen sein. Nicht eine seiner Figuren zeigte eine Spur von Schlechtigkeit. Da war die Gestalt Jesu Christi am Fuße eines Berges abgebildet, sein goldener Heiligenschein war mit einem kleinen roten Kreuz verziert. Neben ihm standen dienstbare Engel. Einer reichte ihm Brot, der andere, von dem ein Teil fehlte, weil an der Stelle des Bildes die Zimmertür eingelassen war, dieser andere Engel, dessen Flügelspitzen nur knapp zu sehen waren, hielt Wein und Fleisch in seinen Händen.
Weiter oben war Christus noch einmal abgebildet. Dies-mal stand er auf dem Berg. Offensichtlich zeigte das Fresco eine Folge von biblischen Szenen. Er trug das gleiche blassrote, fließende, vielfach gefältelte Gewand, aber hier war er aufgebracht, soweit Giovanni das darstellen konnte, und er hatte die linke Hand wie im Zorn erhoben. Eine andere Gestalt floh vor ihm, das war der Teufel. Er war abscheulich dargestellt, mit diesen Fledermausflügeln, die ich wohl zuvor schon einmal gesehen hatte, und mit Auswüchsen an den Fersen seiner Füße und Haut zwischen den Zehen. Missmutigen Gesichts, in schmutziges Grau gekleidet, so floh er vor Christus, der sich dort in der Wüste standhaft weigerte, der Verlockung des Teufels nachzugeben. Und erst nach dieser Auseinandersetzung kamen die dienstbaren Engel, wie man auf dem folgenden Bild sah, und Christus setzte sich mit ge-falteten Händen nieder.
Entsetzt sog ich die Luft ein, als ich auch hier die Abbildung eines Dämons erblickte. Doch dann durchfuhr mich eine solche Erleichterung, dass meine Haarwurzeln krib-belten und auch meine Füße, die ich fest gegen den glänzenden Boden gedrückt hatte. Ich hatte die Dämonen vertrieben! Ich hatte ihre Gabe, die Unsterblichkeit, abgelehnt! Obwohl sie mir mit Kreuzigung gedroht hatten!
Ich begann zu würgen, es war so heftig und schmerzhaft, als hätte mir jemand in den Magen getreten. Suchend drehte ich mich um. Da war das Becken! Blitzblank ge-säubert stand es auf dem Boden. Ich sackte auf die Knie, und aus meinem Magen kam abermals diese eklige, dickflüssige Masse. Gab es hier kein Wasser? Ich schaute mich um. Dort stand ein Krug mit schon gefülltem Becher. Als ich ihn an die Lippen setzte, verschüttete ich etwas, aber das Wasser schmeckte schal, ja sogar schlecht, und ganz scheußlich. Ich warf den Becher fort.
»Ihr Ungeheuer, ihr habt mich für alle normalen Dinge verdorben! Aber ihr werdet nicht gewinnen!«
Mir zitterten die Hände. Ich hob den Becher wieder auf, füllte ihn erneut und versuchte zu trinken. Doch ich empfand den Geschmack als unnatürlich. Wie soll ich es beschreiben? Es schmeckte nicht so ekelhaft wie Urin; es war eher wie Wasser, in dem sich Mineralien und Metalle in großen Mengen gelöst hatten, so dass auf der Zunge ein Kalkbelag zurückblieb, der irgendwie erstickend war.
Es war einfach schlecht!
Ich stellte den Becher weg. Nun gut denn. Zeit also, das Studium anzugehen. Zeit, die Kerzen aufzunehmen, was ich auch tat.
Ich trat aus der Zelle. Die Halle davor war leer und schimmerte in dem matten Licht, das durch die Fenster-luken oberhalb der niedrig gehaltenen Zellen fiel. Ich wandte mich nach rechts und gelangte zu den Türflügeln der Bibliothek. Sie waren unverschlossen. Mit dem Kandelaber in der Hand ging ich hinein. Auch hier wieder schenkte mir der stille Frieden, den Michelozzos Konstruktion ausstrahlte, eine tief empfundene Wärme, eine allumfassende Gläubigkeit, ein tiefes Vertrauen. Zwei Reihen aus Rundbögen und ionischen Säulen verliefen in der Mitte des Saales und bildeten einen langen Gang hin zu einer Tür am entgegengesetzten Ende. Rechts und links davon standen die Arbeitstische, und an den Wänden aufgestellt waren Regale über Regale mit alten Handschriften und Pergamentrollen.
Glücklich, ganz allein hier zu sein, schritt ich auf meinen nackten Füßen über den im Fischgrätmuster gepflasterten Boden, dabei hielt ich die Kerzen hoch über dem Kopf, damit die Helligkeit auch die Deckenwölbung ausfüllte. Durch Fenster auf beiden Seiten fielen bleiche Lichtstreifen zwischen den unzähligen, im Raum verstreuten Bücherborden hindurch. Doch ganz himmlisch und ruhevoll waren die hohen Decken. Wie kühn Michelozzo zu Werke gegangen war! Er
Weitere Kostenlose Bücher