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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ausbrach, hielt sie mich fest und küsste mich; wenn ich vor Wut bebte, überschüttete sie mich mit Tränen.
    »Komm fort von hier«, sagte sie schließlich. Das war kurz vor Sonnenaufgang. Ich erklärte, dass ich keinen Tag mehr unter diesen spitzen Türmen, in dieser Schreckens-burg verbringen würde, an diesem Ort, der die sündhafte, elende Geburt eines Monsters erlebt hatte.
    »Ich kenne eine Höhle, den Berghang hinunter, an den Bauerngehöften vorbei«, sagte sie.

    »Ach ja, gibt es dort vielleicht eine echte Wiese?«
    »In diesem schönen Land gibt es unzählige Wiesen, mein Liebster«, sagte sie. »Und mit unseren verzauber-ten Augen erscheinen uns im Mondlicht die leuchtenden Blumenkelche ebenso hübsch wie einem Sterblichen im göttlichen Licht der Sonne. Merke dir, Sein Mond ist unser.«
    »Und morgen Abend ... ehe dir der Priester einfällt ... be-denke das mit dem Priester reiflich ...«
    »Bring mich nicht zum Lachen. Zeig mir lieber, wie man sich in die Luft erhebt. Leg den Arm um meine Mitte und zeig mir, wie man sich sicher von den hohen Mauern nach unten fallen lassen kann, ohne sich, wie ein normaler Mensch, die Glieder zu zerschmettern. Rede nicht mehr von dem Priester. Verspotte mich nicht!«
    »... ehe du an einen Priester denkst, an die Beichte«, fuhr sie unbeirrt mit ihrer gezierten, leisen Stimme fort, während ihr Tränen der Liebe aus den Augen rannen, »werden wir zurückgehen in diese Stadt, nach Santa Maddalana, und wenn alle fest schlafen, stecken wir ihre Häuser in Brand.«

    13

    KINDSBRAUT

    Wir steckten Santa Maddalana dann doch nicht in Brand.
    In der Stadt zu jagen machte uns viel mehr Vergnügen.
    Nach der dritten Nacht weinte ich nicht mehr, wenn wir uns bei Sonnenaufgang zurückzogen und eng umschlungen in unserer verborgenen, unzugänglichen Höh-le lagen.
    Und seit der dritten Nacht war den Stadtbewohnern klar, was ihnen widerfuhr - wie sich ihr kluger Handel mit dem Teufel gegen sie selbst gewendet hatte. Panik hatte sie erfasst, und wir machten uns einen Spaß daraus, sie zu überlisten. Wir verbargen uns in den unzähligen düsteren Winkeln ihrer verschlungenen Gassen und brachen noch die ausgefallensten und raffiniertesten Schlösser auf.
    In den frühen Morgenstunden, wenn kein Mensch mehr wagte, sich zu regen, und der brave Franziskaner schon wach in seiner Zelle kniete, wo er den Rosenkranz betete und Gott darum bat, ihn verstehen zu lassen, was hier geschah, dann schlich ich verstohlen in die Franziskaner-kirche und betete ebenfalls. Übrigens handelte es sich, wenn Sie sich erinnern, um ebenden Priester, der sich damals in dem Gasthaus mit mir angefreundet hatte, mir beim Essen Gesellschaft geleistet und mich gewarnt hatte, und zwar in Güte und nicht voller Grimm wie sein Bruder von den Dominikanern.
    Doch jede Nacht sagte ich mir das, was ein Mann sich im Stillen sagt, wenn er bei seiner ehebrecherischen Geliebten liegt: »Eine Nacht nur noch, lieber Gott, und dann werde ich beichten. Eine Nacht voller Glückseligkeit, Herr, und danach kehre ich zu meiner Gattin zurück.«

    Die Städter hatten gegen uns keine Chance. Die Fertig-keiten, die ich nicht von ganz allein oder durch Herum-experimentieren erwarb, lehrte mich meine geliebte Ursula geduldig und bereitwillig. Ich konnte Gedanken lesen, konnte den Geist eines Menschen durchforschen, und wenn ich darin eine Sünde fand, so genügte ein Zungenschlag, und ich verleibte sie mir ein, so etwa, wie ich einen faulen, verlogenen Kaufmann aussaugte, der einst seine eigenen zarten Kinder dem mysteriösen Fürsten Florian übergeben hatte, damit er die Stadt in Frieden ließe.
    Eines Nachts stellten wir fest, dass die männlichen Stadtbewohner auf der verlassenen Burg gewesen waren. Es gab Anzeichen eines eiligen Eindringens, obwohl nur wenig gestohlen oder zerstört worden war. Wie sehr hatten die abscheulichen Heiligen sie wohl erschreckt, die in der Kirche immer noch rechts und links von dem Sockel des gefallenen Luzifers aufgereiht standen. Sie hatten weder die goldenen Kerzenhalter mitgenommen noch das alte Tabernakel, in dem meine tastenden Finger ein eingeschrumpftes menschliches Herz entdeckten.
    Als wir den Hof vom Blutroten Gral zum letzten Mal aufsuchten, holte ich die verkohlten, lederzähen Schädel der toten Vampire aus dem Kellergewölbe und schleuderte sie durch die bunten Glasfenster der Kirche, als wären es Steinbrocken. Damit war auch das letzte der herrlichen Kunstwerke, die diese Burg

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