Vittorio
Anstrengendes getan, als hätte ich keinen Krieg geführt, der Körper und Geist geschwächt hatte, als wäre nicht Schlacht und Kampf seit Tagen mein Los gewesen.
Ich eilte an ihrer Seite durch die Burg. Wir stießen eine zweiflügelige Tür nach der anderen auf, bis wir bei den elenden Insassen der Hürde angelangt waren. Ursula selbst huschte leichtfüßig wie auf Katzenpfoten über die Pfade zwischen den Orangenhainen und den Vogelkäfigen, goss die Suppenkessel aus und rief den Ärmsten, den Lahmen und den Hilflosen entgegen, dass sie frei seien, dass die Gefangenschaft ein Ende habe.
In Sekundenschnelle standen wir hoch oben auf einem der Balkone, und unten sah ich nun die traurige Prozession, die sich im purpurfarbenen Dämmerlicht den Berg hinabschlängelte, während der Abendstern über ihnen aufging. Alle halfen sich gegenseitig, ob schwach oder stark, alt oder jung.
»Wohin gehen sie wohl? Etwa zurück in diese sündige Stadt? Zu den menschlichen Ungeheuern, die sie als Opfer ausersehen hatten?« Ich war plötzlich wütend. »Die müssen bestraft werden!«
»Bald, Vittorio, das eilt nicht. Zuerst einmal sind die armen Opfer frei! Nun ist für uns die Zeit gekommen, für uns beide, komm mit.«
Ihre Röcke breiteten sich zu einem weiten Kreis, während wir wieder hinabflogen, tiefer und tiefer, an den Mauern und Fenstern vorbei, bis ich weichen Boden unter meinen Füßen spürte.
»Oh, Gott, die Wiese, sieh, unsere Wiese«, sagte ich.
»Da liegt sie so deutlich im Licht des aufgehenden Mondes, wie ich sie immer in meinen Träumen gesehen ha-be.«
Zärtlichkeit durchströmte mich. Ich umschlang Ursula und vergrub die Finger tief in ihrer welligen Haarpracht. Meine Umgebung schien zu schwanken, und doch fand ich Halt im Tanze mit Ursula, und das sanfte Wogen der Zweige klang in unserer innigen Umarmung wie Musik.
»Nichts kann uns je trennen, Vittorio!«, sagte sie, riss sich los und lief davon.
»Nein, warte, Ursula. Warte!«, rief ich ihr nach und rannte hinter ihr her, aber das Gras und die Iris waren so hoch und so dicht. Es war nicht ganz wie in dem Traum, und doch war es auch wieder so, denn hier waren Gras und Blumen lebendig und verströmten das frische grüne Aroma wilder Wiesen, und die waldigen Haine reckten ihre Äste dem duftenden Wind entgegen.
Erschöpft ließ ich mich zu Boden sinken, so dass die Iris mich überragten und ihre kleinen roten Blüten mir ins Gesicht lugten.
Sie kniete über mir. »Er wird mir vergeben, Vittorio«, sagte sie. »In Seiner unendlichen Gnade wird er alles vergeben.«
»Oh, ja, meine Liebste, meine gepriesene, schöne Liebste, meine Retterin, Er wird dir vergeben.«
Das kleine Kruzifix baumelte vor mir hin und her.
»Aber du musst etwas für mich tun. Du hast mich am Leben gelassen da unten, du hast mich verschont, bist sogar vertrauensvoll am Fuße meines Totenbettes eingeschlafen. Nun bitte ich dich um etwas ...«
»Was denn, Liebste?«, fragte ich. »Sag es, und es geschieht.«
»Zuerst bete um Kraft! Anschließend musst du mir so viel von dem Dämonenblut aussaugen, wie du nur kannst, und in deinen gesunden, durch die Taufe geheiligten Körper aufnehmen, so wirst du meine Seele von dem Bann befreien. Das Blut wirst du durch Erbrechen aus-scheiden, so wie du den giftigen Trank, den wir dir gaben, ausgeschieden hast; es wird dir nichts anhaben können. Wirst du das für mich hin? Wirst du mich von dem Gift befreien?«
Ich dachte an die schreckliche Übelkeit, daran, wie ich mich im Kloster dauernd hatte übergeben müssen, dachte an mein Gestammel, meinen Wahnsinn.
»Tu es für mich«, sagte Ursula.
Sie lehnte sich an mich, und ich spürte ihr Herz im Käfig ihrer Brust schlagen, und ich spürte meines, und mir war, als hätte ich nie zuvor eine solch einschläfernde Ruhe erlebt. Ich merkte, wie sich meine Finger krümmten, für einen winzigen Augenblick schien es, als ruhten sie trotz des Wiesengrundes auf hartem Felsgestein, als hätten meine Handrücken raue Steine gespürt, doch dann schmiegten sie sich wieder an zerdrückte Stängel, an das Bett aus purpurnen und roten und weißen Irisblüten.
Ursula hob den Kopf, und ich sagte:
»Im Namen Gottes und um deiner Erlösung willen werde ich das Gift von dir entgegennehmen; ich werde es aus dir heraussaugen wie aus einer Geschwulst, wie die Fäulnis aus einem Leprakranken. Gib mir dein Blut, komm, gib es mir.« Ihr Gesicht über mir war ganz reglos; und so klein und fein und weiß. »Sei
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