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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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tapfer, mein Liebster, sei tapfer, denn zuerst muss ich bei dir Platz dafür schaffen.« Und sie schmiegte sich an meinen Hals und bohrte ihre Zähne in mein Fleisch. »Sei tapfer, nur noch ein wenig mehr.«
    »Ein wenig mehr?«, hauchte ich. »Ein wenig mehr. Ah, Ursula, sieh nur, Himmel und Hölle sieht man dort oben am Firmament, denn die Sterne sind lodernde Feuerbäl-le, und die Engel haben sie dort oben befestigt.« Aber meine Sprache war lang gezogen und ohne Sinn und war nur wie ein Echo in meinen Ohren. Dunkelheit hüllte mich ein, und als ich die Hand hob, schien sie von einem goldenen Netz umfangen, und in weiter, weiter Ferne sah ich, wie meine Finger von dem Netz bedeckt waren.
    Sonnenlicht strömte über die Wiese. Ich wollte mich los-reißen, mich aufsetzen, wollte ihr sagen, sieh nur, die Sonne ist da, und sie schadet dir nicht, mein kostbares Mädchen. Aber immer wieder rollten Wellen göttlicher, wonniger Lust über mich hinweg, rauschten durch meinen Körper, aufstachelnde, rasende Lust, die meinen Lenden entströmte.
    Als sich ihre Zähne aus meinem Fleisch lösten, war es, als hätte ihre Seele mich noch stärker in ihrer Gewalt, mich, meine Organe, alles an mir, das Mensch und einst auch Kind und Mann war.
    »Oh, mein Schatz, mein Liebling, hör nicht auf!« Die Sonne tanzte einen wilden Reigen in den Ästen der Kastanien.
    Sie öffnete den Mund, und ein Blutstrom floss daraus hervor, ihr blutgetränkter Kuss. »Nimm es von mir entgegen, Vittorio.«
    »All deine Sünden nehme ich in mich auf, mein himmlisches Kind«, murmelte ich. »Oh, Gott, hilf mir. Gott, er-barme dich meiner. Mastema ...«
    Aber die Worte verstummten. Mein Mund war voller Blut, und dies war kein widerliches, zusammengemischtes Gebräu, sondern der glühende, erregende schwere Trunk, den sie mir beim ersten Mal mit ihrem so gänzlich verstohlenen und verblüffenden Kuss verabreicht hatte.
    Nur hier floss er in einem überwältigenden Strom. Sie hatte die Arme unter meinen Rücken geschoben und hob mich hoch. Ihr Blut schien von Adern nichts zu wissen, nein, es schien meine Glieder unmittelbar zu füllen, die Schultern und die Brust, und es ertränkte gar mein Herz und ließ es doch erstarken. Ich starrte in die blinkende, tanzende Sonne, ich fühlte Ursulas Haar weich und schützend über meinen Augen liegen und spähte durch die goldenen Strähnen. Ich atmete keuchend. Das Blut rann in meine Beine und füllte sie bis zur kleinsten Zehe.
    Mein Körper schwoll vor überwältigender Kraft. Mein Geschlecht drängte sich pochend gegen ihres, und abermals spürte ich ihre zarten, katzengleichen Formen, ihre geschmeidigen Glieder, die mich umschlungen hielten, mich festhielten, mich fesselten, und ihre Lippen, die mir den Mund versiegelten. Ich versuchte krampfhaft, die Augen aufzureißen. Sonnenlicht fiel hinein und verengte die Sicht. Es verengte die Sicht, und dafür schienen meine Seufzer immer lauter und lauter, und mein Herzschlag schien zu hallen, als wäre dies hier nicht der wilde Wiesengrund. Mein übermächtiger, mein umgewandelter Körper - mein Körper, der von ihrem Blut bis zum Rand gefüllt war - erzeugte einen Klang, der von steinernen Mauern widerhallte.
    Die Wiesen waren fort oder auch nie da gewesen. Ein Rechteck über mir zeigte dämmriges Zwielicht. Ich lag in der Krypta.
    Ich richtete mich auf, schleuderte sie fort, weit weg von mir, so dass sie vor Schmerz aufschrie. Ich sprang auf die Füße und starrte meine ausgestreckten weißen Hän-de an. Grauenvoller Hunger schoss in mir hoch und gleichzeitig eine wilde Kraft und trostloses Heulen!
    Ich glotzte den dunkelvioletten Lichtfleck über mir an und schrie, schrie!
    »Du hast es getan!! Du hast mich zu deinesgleichen gemacht!«
    Sie schluchzte. Und als ich mich auf sie stürzte, rannte sie davon; zusammengekrümmt, die Hand auf den Mund gepresst, floh sie weinend vor mir. Ich rannte ihr nach.
    Wie eine gefangene Ratte lief sie schreiend im Kreis, als ich sie rund um die Krypta jagte.
    »Nein, Vittorio, nein, Vittorio, nein, tu mir nichts! Vittorio, ich habe es für uns beide getan; Vittorio, wir sind frei! Ah, Gott, hilf mir!«
    Und dann schwang sie sich aufwärts, entwischte gerade so meinem Arm, der nach ihr greifen wollte. Sie war nach oben in die Kirche geflohen.
    »Du kleine Hexe, du Ungeheuer, verpupptes Monster, du hast mich getäuscht, mich mit deinen Traumbildern über-listet, du hast mich zu deinesgleichen gemacht. Das hast du mir angetan!«

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