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Vittorio

Vittorio

Titel: Vittorio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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geschmückt hatten, vernichtet.
    Gemeinsam durchstöberten wir die Schlafkammern der Burg, die ich vorher nicht zu Gesicht bekommen hatte und mir auch gar nicht hatte vorstellen können. Ursula zeigte mir die Gemächer, in denen sich Mitglieder des Hofstaates zusammengefunden hatten, um Schach zu spielen, zu würfeln oder einem kleinen Orchester zu lauschen. Hier und da fand man Hinweise auf Diebereien -
    eine von einem Bett gezerrte Decke, ein zu Boden gefallenes Kissen. Aber offensichtlich war die Angst der Städter größer als ihre Gier. Sie hatten nur Weniges mitgenommen.
    Und als wir ihnen weiterhin auflauerten und sie immer wieder mit teuflischem Geschick besiegten, verließen sie Santa Maddalana nach und nach. Wenn wir um Mitternacht durch die leeren Gassen zogen, fanden wir offen stehende Läden, unverriegelte Fenster und leere Wiegen vor. Die dominikanische Kirche war entweiht und verlassen, der Altar entfernt worden. Die feigen Priester, denen ich die Gnade eines schnellen Todes versagt hatte, hatten ihre Schäfchen im Stich gelassen.
    Und je länger das Spiel dauerte, desto anregender fand ich es, denn nun waren nur noch die geblieben, die streitbar und habgierig waren und sich weigerten, kampflos aufzugeben. Es fiel mir leicht, die Unschuldigen, diejenigen, die auf ihre Schutzheiligen vertrauten, von denen zu unterscheiden, die dem Teufel die Hand gereicht hatten und deshalb nun mit dem Schwert in der Hand unruhig im Dunkeln Wache hielten.
    Ich sprach zu gerne mit ihnen, lieferte mir Wortgefechte mit ihnen, während ich sie tötete. »Dachtest du, du könntest ewig so fortfahren? Dachtest du, der Unhold, den du nährtest, würde sich nicht auch von dir nähren wollen?«
    Was meine Ursula anging, so war das kein Sport nach ihrem Geschmack. Das Schauspiel, das ein leidender Mensch bot, war ihr unerträglich. Und die blutige Kommunion, die auf der Burg stattzufinden pflegte, hatte sie nur wegen der Musik und der Weihrauchdüfte ausgehalten und weil Florian und Godric sie mit höchster Autorität Schritt für Schritt durch die Zeremonie leiteten.
    Während die Stadt sich langsam leerte, die Gehöfte ringsum verödeten, während Santa Maddalana, das meine Schule gewesen war, dem Untergang entgegentrieb, begann Ursula, Nacht für Nacht mit elternlosen Kindern zu spielen. Manchmal saß sie auf den Kirchenstufen und wiegte ein kleines Kind im Arm, dem sie ins Ohr gurrte oder ihm auf Französisch Geschichten erzählte.
    Sie sang auch alte lateinische Lieder, die sie an den Fürstenhöfen ihrer Zeit gelernt hatte - vor zweihundert Jahren, wie sie mir erzählte, und sie erwähnte die Namen französischer und deutscher Schlachten, mit denen ich überhaupt nichts anfangen konnte.
    »Du solltest nicht mit den Kindern spielen«, riet ich ihr,
    »sie werden es nicht vergessen. Sie werden sich an uns erinnern können.«
    Nach Ablauf von vierzehn Tagen war die Gemeinde endgültig zerstört. Nur die Waisenkinder waren noch da und ein paar sehr alte Leutchen, dazu gehörten der Franziskanermönch und sein Vater, der elfenhafte kleine Mann. Der saß nachts bei Licht in seinem Gemach und spielte mit sich selbst Karten, als hätte er nicht die mindeste Ahnung von dem, was hier vor sich ging.
    Als wir, ich glaube, es war am fünfzehnten Abend, in der Stadt eintrafen, wussten wir sofort, dass nur noch zwei Personen da waren. Der kleine alte Mann saß bei unverschlossener Tür in dem leeren Gasthaus, wo wir ihn vor sich hin singen hörten. Er war sehr betrunken. Sein schweißbedeckter, rosiger Schädel schimmerte im Kerzenlicht. Er spielte Patience und legte die Karten in einem Kreis auf dem Tisch aus. Neben ihm saß der Franziskanermönch. Als wir die Herberge betraten, sah er ruhig und ohne Furcht von seinem Platz zu uns auf. Rasender Hunger tobte in mir, Hunger nach dem Blut der beiden.
    »Ich glaube, ich habe Euch damals meinen Namen nicht genannt«, meinte er.
    »Das stimmt, Vater«, bestätigte ich.
    »Josua«, sagte er, »ich heiße Josua, Pater Josua. Alle Ordensbrüder sind nach Assisi zurückgekehrt, sie haben die letzten paar Kinder, die noch hier waren, mitgenommen. Die Reise in den Süden ist lang.«
    »Ich weiß, Vater«, entgegnete ich. »Ich war schon einmal in Assisi und habe am Schrein des heiligen Franziskus gebetet. Sagt, Vater, wenn Ihr mich anschaut, könnt Ihr dann Engel um mich sehen?«
    »Warum sollte ich Engel sehen?«, fragte er leise. Er schaute von mir zu Ursula. »Schönheit sehe ich; ich se-he, dass

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