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Viviane Élisabeth Fauville

Viviane Élisabeth Fauville

Titel: Viviane Élisabeth Fauville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Deck
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neigte, Sie mit dem Mobiliar zu verwechseln.
    Sie waren also gerade an der Station République aus der Metro gestiegen, als die Wandkacheln mit einem Mal Ihr gesamtes Blickfeld eingenommen haben. Plötzlich haben Sie nichts mehr gesehen, außer den waagerechten Fayence-Rechtecken, die Ihnen den Horizont versperrten. Sie sind die Stufen hinaufgestiegen, die die Fahrgäste der Linie 11 zu dem Hauptumsteigegang führen, wo die Fahrgäste der Linien 5, 8 und 9 sich begegnen. Der Strom der Passagiere lenkte Ihre Schritte; ohne etwas zu sehen, gingen Sie weiter, lauschten dem Gebrüll Ihrer Arterien, das die Menge übertönte. Sie sind vorwärts gegangen bis zu dem Croissant-Stand, der die Abbiegung zur Linie 9, Richtung Pont de Sèvres markiert. Ein ekelerregender Geruch nach falschen Croissants ging davon aus. Sie haben lange das Aroma künstlichen Gebäcks eingesogen, um wieder klar im Kopf zu werden, und als Sie an der Reihe waren, hat der junge, von der Marke, deren Croissants er austeilte, lächerlich ausstaffierte Verkäufer zu Ihnen gesagt Ja Madame, Was soll es für Sie sein Madame? Die anderen Kunden sind ungeduldig geworden. Sie verloren Zeit, wo sie es doch eilig hatten, zu ihrer Arbeit zu kommen, und es ist schon ein Unding, in einer Croissanterie um 9 Uhr morgens nicht zu wissen, was man will, eine Dame hinter Ihnen hat es Ihnen sehr deutlich zu verstehen gegeben. Sie haben sie angeschaut in der Hoffnung auf eine Fehde zwischen Frauen, die Ihren Überlebensinstinkt wieder wecken würde, aber Sie haben sie nicht gesehen, in Ihren Augen waren nur Kacheln.
    Der Verkäufer hat noch einmal gesagt Also Madame, ein Croissant, ein Pain au chocolat vielleicht, sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist Madame, sonst rufe ich den Sicherheitsdienst, es hat keinen Zweck Panik zu verbreiten, die Leute müssen doch arbeiten gehen. Sie haben ihn mit Ihren blinden Augen angefleht. Sie hätten gerne zu seiner Beruhigung ein paar Worte ausgesprochen, ihm bestätigt, dass Sie sehr wohl wissen, wer Sie sind, wohin Sie gehen und was für eine Art von Gebäck Sie wünschen, aber Ihr Kiefer hat nicht mehr funktioniert. Ihre Lippen öffneten sich zu einer gekachelten Mauer hin, und der junge Mann hat gesagt Gut, ich hole Hilfe.
    In einer Regung von Schuldbewusstsein hat die Frau hinter Ihnen Sie zur Wand geführt und Ihnen befohlen zu atmen, bis die Helfer eintreffen würden, das geht vorbei, glauben Sie mir, ich bin Sozialhelferin, es geht immer vorbei. Sie haben das Wort danke artikuliert, und sie hat sich mit triumphierender Geste den Zuschauern zugewendet und unterstrichen, dass sie es Ihnen ja gesagt habe. Dann sind die Feuerwehrleute gekommen. Sie haben die üblichen Fragen gestellt, auf die Sie ohne viel Überzeugung geantwortet haben, man klopfte Ihnen auf die Schulter und wiederholte, was die Dame schon gesagt hatte, dass es nur ein kleiner Schwächeanfall sei, dass man Sie vorsichtshalber zur Notaufnahme bringen würde, und dass Sie am Nachmittag schon wieder in Form sein und arbeiten gehen würden. Sie haben das geantwortet, was alle, denen man in derartigen Situationen zu Hilfe eilt, antworten, nein, nicht die Notaufnahme, und sie haben freundlich darauf bestanden, denn wozu dient der ganze Zirkus, wenn man am Ende nicht hingehen will. Die Ärzte bringen Sie wieder auf die Beine, glauben Sie uns, haben die Feuerwehrleute gesagt, die immer »wir« sagen.
    Sie haben Sie bis zum Ausgang gestützt und dann mit dem Auto ins Krankenhaus gebracht, wo Sie keine großen Töne gespuckt haben. Sie waren neununddreißig Jahre alt, hatten eine gute Stelle, keinen Grund, sich zu beklagen, und Sie verstanden nicht, was es mit diesem Moment der Schwäche auf sich hatte, der Ihnen jetzt schon weit zurückzuliegen schien. Aber Sie würden einen Spezialisten aufsuchen, da man der Meinung war, das könne hilfreich sein. Und so sind Sie zu dem Arzt gekommen.
    Diese Bezeichnung steht auf dem Schildchen am Hauseingang. Darunter beginnt die achtstellige Telefonnummer mit einer Vier. Dem ist zu entnehmen, dass der Arzt schon seit geraumer Zeit hier ansässig ist. Und weil dort Doktor steht, stellt sich die Patientin vor, sie würde von einem traditionellen Gesundheitsfachmann empfangen, auf dessen breitem Schreibtisch sich ein Federhalter, eine seegrüne Opalglaslampe und ein Rezeptblock befänden.
    Nachdem sie gute zehn Minuten im Wartezimmer

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