Viviane Élisabeth Fauville
woher diese Spuren kommen.
Da sie reglos sitzen bleibt, geht der Inspektor, der sie hergebracht hat, zu ihr hin und zieht einen Pulloverärmel hoch. Der Kommissar steht dicht neben ihr, die Masse seines Gesichts aufgebläht zu einer monströsen GroÃaufnahme. Sie erkennt nichts als das Augenloch, das schwarz ist im Gegenlicht, denn angestrahlt wird die Angeklagte, die Lampe ist auf ihr Gesicht gerichtet, das Gesicht eines tief in seiner Höhle vergrabenen Tieres. Aber in diesem Moment hat sie keine Angst mehr. Schicksalsergeben wartet sie auf den TodesstoÃ.
Also, wir haben uns geprügelt, ja? brüllt der Kommissar, seinen schweren Atem direkt in die Nasenlöcher der Befragten pustend, und der andere hat sich gewehrt, ja? Man sieht aus wie eine Bourgeoise, aber man hat so seine Zustände, ja, man gerät in Wut und kann für nichts mehr garantieren, was, Madame Hermant?
Das Echo dieser MutmaÃungen hört schlieÃlich auf, durch den Raum zu hallen, und sie sagt ja, senkt dabei die Augen auf ihre Knie, ja, ich habe mich geprügelt. Und mit wem? fängt der Kommissar im selben Ton wieder an. Die Silben fallen wie Geschosse um die gepeinigte Person herum. Mit dem kleinen Boujon, gibt sie endlich zu, ich habe mich mit Tony Boujon geprügelt.
Die beiden Männer nehmen räumlichen Abstand. Was haben Sie denn mit dem zu schaffen? fragt der Kommissar. Nun muss man zugeben, dass man einige Nachforschungen angestellt hat. Dass man die in den Zeitungen veröffentlichten Informationen miteinander abgeglichen hat. Dass man sich an die Gare de lâEst begeben hat, um ihn abzufangen und anzusprechen, aber man bedauert das, man hätte das besser gelassen. Dann hüllt sie sich wieder in Schweigen, und von nun an wird nichts â weder das Gebrüll des Kommissars, noch das des Inspektors, als die beiden ihre Rollen vertauschen, wobei sie auf die Kontrastwirkung setzen, um die Zielperson zu schwächen, und auch nicht die FuÃtritte, die beide dem Stuhl verabreichen, an den sie sich klammert, bis sie am Ende loslässt und zu Boden fällt â nichts wird die Stummheit, in die sich die Person eingemauert hat, durchbrechen, und vor Ãrger setzt man sie unter Arrest.
Die Zelle ist ungefähr zwei Meter lang und einen Meter fünfzig breit. Sie ist ausgestattet mit einer Pritsche und verschlossen durch eine Securit-Glastür, sie ist durchaus sauber. Die Wände schwitzen nicht vor Feuchtigkeit, keinerlei Insekt bewegt sich über die Fliesen. Wenn man zur Toilette gehen will, wird dieser Bitte stattgegeben, man wird begleitet von einem Polizisten des eigenen Geschlechts. Man kann auch ein Glas Wasser bekommen, aber nichts zu essen. SchlieÃlich wird die Möglichkeit geboten, einen Telefonanruf zu tätigen. Die Person lässt dieses Angebot ungenutzt. Sie krümmt sich auf der Pritsche, drückt ihre Handballen auf ihre Augenhöhlen, damit es schwarz wird, denn so sieht sie noch am besten.
Das wird Ihnen Zeit geben, hat der Kommissar gesagt, bevor er sie eingelocht hat, über die Konsequenzen Ihrer Handlungen nachzudenken. Dabei verlangt sie ja gar nichts anderes, als Ordnung in ihr Gedächtnis zu bringen. Aber statt ans Licht zu kommen, trüben sich die Ereignisse immer mehr ein.
Der jüngsten Vergangenheit beraubt, stellt sie sich in den Schutz der fernen. Sie erinnert sich an die Mutter, die weder Anfang noch Ende hat, nicht zu datieren ist, mit welcher Methode auch immer, Kohlenstoff oder Introspektion. Und neben diesem Monolithen erscheint ein winziger Schatten. Eine Figur, die in gewisser Weise geliebt worden ist, mit dem, was an Zuneigung übrig war, und die sich dann wieder verflüchtigt hat, wie sie gekommen ist: Eines schönen Tages waren sie nicht mehr zu dritt, in der Wohnung an der Place Saint-Médard, sie waren zwei, die einander gegenübersaÃen wie ein Porzellanfigurenpaar. Und wenn auch der Ausfall des dritten Elements eine Zeitlang die Harmonie der Landschaft störte, so wurde dieses schnell auf den Platz eines Souvenirs geschoben, eines jener Nippesgegenstände auf dem Kaminsims, die man blankwischt, ohne sie wahrzunehmen, von denen man sich aber um nichts auf der Welt trennen würde, so unabdingbar sind sie für die neue Anordnung des Ganzen. Erklärungen wurden vermutlich gefordert, im Alter von zwölf oder vierzehn Jahren, wenn man hofft, durch das Spiel der Fragen Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu
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