Vogel-Scheuche
Rauchwolke Helen Höllenfahrt schien das ganze ziemlich amüsant zu finden. »Bist du wirklich sicher, daß du noch ein Kind bist?« fragte sie. »Irgendwie kommt es mir vor, als hätte ich dich schon einmal in einer anderen Gestalt gesehen, sehr viel älter…«
»Und hast hast du Humfrey gefragt?« warf Gnade Uns schnell ein.
»Wo ich ein Sommersalz finde«, erwiderte Helen. »Ich sammle nämlich exotische Salze, und ich habe schon ein Wintersalz, ein Frühlingssalz und sogar ein Herbstsalz, aber ein Sommersalz konnte ich noch nirgends auftreiben. Dabei habe ich schon überall danach gesucht, bis in die en t legensten Winkel von…« Sie hielt inne. »Aber dieses Wort darf ich natü r lich nicht in Gegenwart eines unschuldigen kleinen Kindes aussprechen.«
Und Metria durfte ihrerseits nicht preisgeben, wer sie in Wirklichkeit war, solange sie auf dem Viertelpferd ritt, weil es sich sonst in seine B e standteile aufgelöst hätte. Die Dämonin zog sie auf, wie es nur eine so l che Höllenkreatur vermochte, versuchte mit allen Finten, sie dazu zu bringen, ihr wahres Alter preiszugeben. Glücklicherweise wußte sie schon einiges über derlei Reisen: Auch die Dämonin hatte manche Hö l lenfahrt hinter sich. Und sie brachte stets das zurück, was am meisten gebraucht wurde – zur allerungeeignetsten Zeit. Oder was am wenigsten gebraucht wurde – genau zur richtigen Zeit. Gnade Uns hatte versucht, dem entgegenzuwirken, indem sie nach einem Dauerlutscher vom furchtbarsten Geschmack verlangte, aber das hatte nicht funktioniert, und so hatte sie das scheußliche Ding auch noch essen müssen.
»Wenn du mit mir fertig bist, wird dir der Gute Magier also verraten, wo du dieses Salz findest«, fuhr Gnade Uns fort. »Dann kannst du dich unter deine Sammlung setzen und ein Wesen für alle vier Jahreszeiten sein.«
»Etwas in der Art«, stimmte Helen zu. Die Wolke bildete ein Gesicht aus. »Für so ein winziges, süßes, unschuldiges Kindlein wirkst du mir eigentlich ziemlich reif.«
»Das ist alles nur Illusion. Ich bin nicht das, was ich zu sein scheine.«
Dagegen wußte Helen nichts zu erwidern. So zogen sie eine Weile schweigend weiter, während die Landschaft an ihnen vorbeiflog. Weit entlegene Berge verschoben sich majestätisch, offenbarten erst den e i nen, dann den anderen Hang. Wälder sprangen hervor, wuchsen riesig heran, um plötzlich wieder zu verschwinden. Eine ganze Zeit lang fol g ten sie einem gepflasterten Weg. Jedes Mal, wenn dieser sich mit einem anderen Weg kreuzte, blähte er sich zur doppelten Größe auf, um zu beeindrucken. Doch das funktionierte nicht, weil die anderen Wege g e nau das gleiche taten. Manchmal wetteiferten die sich kreuzenden Wege um die Macht und warfen massenweise kurvige Straßen aus. Ziel der Übung schien es zu sein, den anderen Weg dort zu berühren, wo er die Berührung nicht erwidern konnte, allerdings schien dieser Wettbewerb schon seit langem zu gehen, waren doch sämtliche Wege erfahren genug, um sich trotzdem miteinander zu verbinden. Manche Kreuzungen sahen aus wie Karos, andere wie Kleeblätter, weitere wie Bandnudeln. Manc h mal entzog ein Weg sich auch dem Streit und untertunnelte den anderen oder zog am Boden über diesen hinweg, aber häufig gab es selbst dann noch verwirrende, weitläufige Straßen, die sich bemühten, ihr Ziel zu treffen.
Helen wurde die Sache langweilig, weshalb sie wieder das Gespräch aufnahm. »Was hat der Gute Magier denn mit dem Simurgh zu tun?«
»Das wüßte ich selbst gern. Wo wohnt die eigentlich genau?«
»Ich dachte, du würdest mich nie fragen! Sie lebt in Qaf.«
Gnade Uns runzelte die Stirn. »Wo?«
»Qaf. Das ist ein Gebirgszug, der die Erde umschließt.«
»Ein Gebirge aus Erde?«
»Nicht ganz. Es besteht aus einem einzigen Smaragd. Es ist sehr hübsch.«
»Das kann ich mir vorstellen. Der Simurgh muß wohl hübsche Dinge lieben.«
»Der Simurgh liebt eigentlich alles. Aber da sie bereits alles hat, was sie braucht oder verlangt – was könntest du da für sie tun?«
»Ich wünschte, das wüßte ich«, gestand Gnade Uns. »Vielleicht macht sie sich ja daran, das Universum wieder zu ersetzen.«
Nun war die Wolke an der Reihe, überrascht zu reagieren. »Wie – mit uns allen darin?«
»Na ja, vielleicht wird es ihr nach einer Zeit ja zu langweilig. Oder zu schmutzig. Könnte ja sein, daß sie gern ein frisches hätte.«
»Aber was geschieht denn dann mit uns allen?«
»Vielleicht werden wir dann alle zu Nichts
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